INTERVIEW

„Wir brauchen eine Alternative zu E-Autos“

von Redaktion

Weshalb BMW im Jahr 2028 mit einem Wasserstoff-Auto in Serie gehen will

Jürgen Guldner managt bei BMW den Bereich für Wasserstoff. Er beschäftigt sich seit 20 Jahren mit dem Thema, hat in Kalifornien und München studiert und besitzt einen Doktortitel in Regelungstechnik und Robotik. Hier: Guldner und ein X5 mit Brennstoffzelle aus der Pilotserie in New York. © Sam Cobb

New York – BMW hat Anfang September ein spektakuläres Projekt vorgestellt: Nachdem der Autokonzern erfolgreiche Testfahrten mit einer wasserstoffbetriebenen Pilotflotte von BMW X5 absolviert hatte, will er nun bis 2028 Wasserstoffautos in Serie bringen. Dabei werden die Münchner mit Japans Autoriesen Toyota kooperieren, von dem die Brennstoffzelle stammt. Allerdings gibt es viel Kritik an Wasserstoff im Auto, außerdem sind die Zulassungszahlen von Wasserstofffahrzeugen von ohnehin schon mageren 20 704 Stück weltweit im Jahr 2022 auf 16 413 im Jahr 2023 eingebrochen – in Deutschland waren es vergangenes Jahr sogar nur 263. Weshalb wagt sich BMW also auf dieses Feld? Und wie groß ist das Risiko für den Autobauer dabei? Das erklärt Jürgen Guldner, der das BMW-Projekt managt und den wir bei der New York Climate Week in den USA getroffen haben, wo er jetzt schon für die neuen Fahrzeuge wirbt.

Herr Guldner, Hyundai und Toyota bieten seit einigen Jahren Autos mit Brennstoffzelle und Wasserstoffantrieb an – und verkaufen in vielen Monaten in Deutschland nur einzelne Fahrzeuge. Mercedes hat die Technologie gleich ganz aufgegeben. Ab 2028 will nun BMW mit Wasserstoffantrieben in Serie gehen. Warum?

Bisher war die Zeit für diese Technologie einfach noch nicht reif. Es gab zum Beispiel kaum Infrastruktur mit Wasserstofftankstellen. Ab Ende des Jahrzehnts wird sich das unserer Meinung nach aber ändern. Außerdem wollen wir all jenen Menschen ein Angebot machen, für die ein Batteriefahrzeug nicht die optimale Lösung ist.

Wie meinen Sie das?

In Städten wie New York haben Millionen Autobesitzer keine Garage, öffentliches Laden ist schon wegen dem extremen Parkplatzmangel ein Problem. Ähnliches gilt für andere Metropolen wie Tokio. Manche Leute fahren außerdem täglich weite Strecken und wollen oder können dabei nicht mehrmals laden. Hier wollen wir eine Alternative bieten: ein Auto, das man so einfach tankt wie einen Diesel oder einen Benziner und das trotzdem die Vorteile eines E-Autos hat – die starke Beschleunigung, das lautlose Dahingleiten und das emissionsfreie Fahren.

Sind Fahrzeuge mit Brennstoffzellen aus Ihrer Sicht also die besseren E-Autos?

Nein, sie sind ein zweites Standbein der klimaneutralen Mobilität. Wenn wir das Verhalten der Menschen ändern wollen, ist es aus meiner Sicht eine kluge Strategie, Alternativen und Optionen anzubieten.

Und BMW will bei Wasserstoff den Fuß in die Tür bekommen, falls diese aufgeht.

Nein, wir wollen helfen, die Tür zu öffnen!

Bisher gibt es aber nur 100 Tankstellen für Wasserstoff in Deutschland.

Dennoch kann man sich in Deutschland schon jetzt fast überall frei bewegen. Und es tut sich einiges: die USA planen zum Beispiel Wasserstoff-Zentren, die Stück für Stück verbunden werden, und die EU hat beschlossen, bis 2030 ein Basisnetz aufzubauen. Der Hochlauf wird vor allem wegen des Güterverkehrs stattfinden. Davon werden auch die Autos profitieren. Während die bisherige Infrastruktur vor allem auf Nutzfahrzeuge ausgerichtet war, erfolgt nun eine Umorientierung, um auch den Bedarf von PKWs abzudecken.

Ein Windrad mit drei Megawatt Leistung kann 3000 E-Autos versorgen, aber nur 1000 Wasserstoff-Fahrzeuge, weil bei der Umwandlung von Strom in Wasserstoff so viel Energie verlorengeht. Ist diese Antriebsart nicht viel zu ineffizient für Autos?

Es wäre falsch, nur wegen der Energieeffizienz ausschließlich auf Batteriefahrzeuge zu setzen. Es geht uns nicht darum, jene Menschen zu überzeugen, die eine Solaranlage und eine Garage haben. Die sollen gerne Batteriefahrzeuge fahren, denn für diesen Anwendungsfall sind diese oft effizienter. Wir wollen mit Wasserstoff jene Autofahrer für die Elektromobilität gewinnen, die wir bisher nicht erreichen. Übrigens: Die Photosynthese, die Mutter aller Prozesse auf der Erde, ist auch nicht besonders effizient und wir leben trotzdem alle davon.

Dennoch: Können wir uns leisten, so viel Energie zu verschwenden?

Das ist eine Frage der Perspektive und des gesamten Energiesystems. Es ist auch Verschwendung, wenn wir Windräder und Solaranlagen an wind- und sonnenreichen Tagen abschalten, weil dann mehr Strom erzeugt wird, als ins Netz eingespeist werden kann. Das passiert oft. Außerdem kommt es auch darauf an, wo ein Windrad steht.

Weshalb?

Wasserstoff ist eine effiziente Möglichkeit, Erneuerbare Energie zu speichern und zu transportieren, und spielt daher eine wichtige Rolle bei der Energiewende. Auch im regenerativen Zeitalter werden wir Energie importieren. Ein Windrad in Norwegen erzeugt zum Beispiel zwei- oder dreimal so viel Energie wie eines in Deutschland. Und die Ölstaaten, die sehr sonnenreich sind, überlegen ebenfalls, was sie in Zukunft machen. Der höhere Energieertrag in solchen Regionen kompensiert oftmals die Verluste bei der Umwandlung. Mit Wasserstoff aus einem Windrad in Norwegen kann man wahrscheinlich ähnlich weit fahren wie mit einem E-Auto, das mit Strom aus einem Münchner Windrad geladen wurde.

Experten sagen, es werde schon in der Industrie, Luftfahrt oder Schifffahrt ein Hauen und Stechen um Wasserstoff geben. Diese Bereiche sind auf die Energieform angewiesen, der Individualverkehr nicht.

Studien zeigen, dass der Autoverkehr nur einen einstelligen Prozentsatz der Produktion benötigen wird. Er nimmt anderen Bereichen also nicht viel weg. Gleichzeitig dürfte der Verkehr aber ein Katalysator für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft insgesamt werden. Man kann das Verteil- und Tankstellennetz gut organisch wachsen lassen und die Autofahrer sind auch bereit, deutlich mehr für Wasserstoff zu zahlen als etwa die Industrie. Die muss ja nicht teuren Sprit sondern günstigeres Erdgas oder Kohle ersetzen.

Wasserstoff wird oft Champagner der Energiewende genannt, weil er so teuer ist. Bleibt das so?

Das ist völlig überholt. Soll die Energiewende funktionieren, sind wir auf Wasserstoff angewiesen. Und mit dem Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft werden die Preise drastisch sinken.

Gilt das auch für die Preise von Wasserstofffahrzeugen? Der Hyundai Nexo kostet zum Beispiel rund 80 000 Euro.

Unser Ziel ist, dass Autos mit Wasserstoff ähnlich viel kosten werden wie jene mit Batterie. Die Brennstoffzellen kann man grundsätzlich neben Autos auch in Gabelstaplern oder Bussen und Lkws einsetzen. Das senkt die Kosten. Außerdem sind Brennstoffzellen weniger abhängig von anderen Rohstoffpreisen, weil man anders als bei Batterien kaum kritische Rohstoffe braucht. Und: Benötigte Dinge wie Sensoren, Ventile, das Kühlsystem oder den Kompressor kennt man in der Autoindustrie, dafür gibt es viele erfahrene Zulieferer.

Welches Modell wird eigentlich der erste Serien-BMW mit Wasserstoff?

Das haben wir noch nicht entschieden. Aber es wird kein eigenes Modell sein, sondern der Kunde wird bei den Antriebsarten zukünftig zwischen Batterie, Wasserstoff, Plug-in und Verbrenner wählen können.

Und wie viel investiert BMW in das Projekt?

Tut mir leid, Zahlen zu Investitionen nennen wir nicht.

Stürzt es BMW in die Krise, falls der Markt für solche Autos nicht anspringt?

Sicher nicht. Wir bauen seit 45 Jahren Wasserstoff-Fahrzeuge und sind überzeugt, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, in Serie zu gehen. Alles Weitere wird die Zukunft zeigen.

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