Start-up will Strom im All sammeln

von Redaktion

Gigantisches System: Virtus Solis will Sonnenenergie im All einfangen, sie in Radiowellen umwandeln und auf die Erde schicken. 2023 wurde das System auf der Erde getestet, 2027 soll der erste Testlauf im All folgen. © Fotos: Virtus Solis, Andreas Höß

New York – Wenn John Bucknell zeigen will, wo die Probleme bei der Energiewende liegen, nimmt er gerne Deutschland als Beispiel. Nicht, weil er glaubt, das Land befinde sich auf einer energiepolitischen Geisterfahrt. Er sieht eher Luft nach oben. Deutschland habe dutzende Gigawatt an Solarkapazität installiert, aber selbst im Sommer würden davon im Schnitt nur 20 Prozent genutzt. „Im Herbst und Winter sind es sogar nur ein bis drei Prozent, weil die Nächte lang sind und der Himmel oft bedeckt ist“, sagt der 53-Jährige. Trotz riesiger Solarparks sei die Energieausbeute vor allem in der dunklen Jahreszeit gering, wo der Energiebedarf besonders hoch ist. „Wir müssen also etwas anders machen bei der Energiewende“, glaubt Bucknell.

Was genau passieren muss, dazu hat der Amerikaner bereits einen Plan, der stark an Science-Fiction erinnert: Nämlich die Sonnenenergie direkt im Orbit sammeln und von dort auf die Erde beamen. Im All scheine die Sonne 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche, erklärt Bucknell enthusiastisch. „Die Energieausbeute ist dort also viel höher.“ Außerdem könne die Energie mittels Radiowellen ohne Verluste durch die Wolkendecke geleitet werden. „Dabei werden weder Flugzeuge, Satelliten noch der Funkverkehr beeinträchtigt“, verspricht der Luftfahrtingenieur. „Die Wellen sind auch ungefährlich. Ich bin schon tausende Stunden im Energiefluss gestanden und ich bin kerngesund!“

Gleiches Prinzip wie induktives Laden

Etwas vereinfacht soll das System von Bucknells Start-up Virtus Solis so funktionieren: Kommerzielle Trägerraketen bringen kleine Satelliten ins All, auf denen sich Mini-Roboter und Solarmodule befinden. Die Roboter basteln die Module im Orbit wie eine riesige Honigwabe zusammen. Die gigantische Wabe saugt die Sonnenenergie auf und wandelt sie in Radiowellen um. Diese werden dann zu Bodenstationen geleitet. Klingt kompliziert, ist es aber gar nicht, beteuert der ehemalige Space-X-Mitarbeiter. Die Technik sei vorhanden. Radiowellen verwende man auch im Mobilfunk, beim Radio und beim induktiven Laden von Smartphones. „Wir nutzen das gleiche Prinzip, nur in groß“, sagt Bucknell. Flüge auf Trägerraketen könne man bei Space X mittlerweile zwei Mal pro Woche buchen, die Satelliten sind von North Northrop Grumman und die kleinen Roboter, welche die Module im All montieren sollen, stammen von Kuka aus Augsburg und werden normalerweise im Autobau eingesetzt.

So will Bucknell das ganze Energiesystem der Erde revolutionieren. Und das zu einem überschaubaren Preis, wie er verspricht. Beim neuesten US-Kernkraftwerk Vogtle-3 haben sich die Kosten für 1,1 Gigawatt Strom von zunächst geschätzten 14 auf 30 Milliarden Dollar erhöht, Virtus Solis will 1,5 Gigawatt für 3,8 Milliarden Dollar herstellen. Selbst mit dem Preis für Solarstrom auf der Erde soll der Weltraumstrom mithalten, rechnet Bucknell vor. Der Unterschied sei nur: Für terrestrische Solarenergie brauche man Speicher für die Nachtstunden, das treibe die Gesamtkosten nach oben. Doch auch das Virtus-Solis-Projekt gleicht einem Kraftakt. Auf lange Sicht will Bucknell 400 000 Satelliten ins All schießen und tausende Bodenstationen aufbauen, um die Energie auf der Erde aufzunehmen.

Wer jetzt glaubt, Bucknell sei ein Spinner, könnte Recht haben. Amerikaner denken gerne groß – auch im positiven Sinne, siehe Tesla, Google, Facebook. Unterschätzen sollte man solche Visionäre also nicht. Und: Bucknells Team bringt viel Expertise mit. Er selbst hat für Elon Musks Raketenschmiede Space X und den Autobauer General Motors gearbeitet, sein Kompagnon Edward Tate war beim für 3D-Design bekannten Softwareentwickler Dassault Systèmes beschäftigt, einer Auskopplung der Luftfahrtfirma Dassault Aviation. Der Rest des Teams stammt von Eliteunis und hat Stationen bei Konzernen wie dem Luftfahrtriesen Boeing oder dem Rüstungskonzern Raytheon hinter sich. Außerdem hat die junge Firma bereits viele Millionen von Risikokapitalgebern eingesammelt, auch aus Deutschland: Der Autokonzern BMW gehört mit seinem Start-up-Finanzierer UrbanX beispielsweise zu den Geldgebern.

Wettlauf um die Energie aus dem All

Ein Selbstläufer wird die Sache dennoch nicht. Schon allein, weil es einen regelrechten Wettlauf um Energie aus dem All gibt. Dabei stehen andere Start-ups wie Star Catcher oder Reflect Orbital, Universitäten, Konzerne, Raumfahrtbehörden, Regierungen und auch die EU mit am Start. Die Zeit drängt also, weshalb Virtus Solis bald abheben will. Nach einem ersten erfolgreichen Feldversuch auf der Erde vor einem Jahr sollen 2027 die ersten Roboter ins All, um dort aus 217 Modulen eine 28 Meter breite Solarwabe zu bauen, die ihre Energie zur Erde beamen soll – bevor schon drei Jahre später das erste kommerzielle Projekt der Firma in tausendfacher Größe folgen soll. Ob das aber alles klappt wie geplant? Das steht noch in den Sternen.

Artikel 8 von 8