Industrie will sich nach dem Wind richten

von Redaktion

Windräder drehen sich in Bayern mittlerweile auch im Wald –allerdings nicht immer gleich stark. Die bayerische Wirtschaft hat untersuchen lassen, wie flexibel sie auf das Stromangebot reagieren kann. © Daniel Karmann, dpa

München – Im Stromnetz müssen Angebot und Nachfrage immer im Gleichgewicht sein. Der wachsende Anteil schwankender Stromquellen wie Wind und Sonne muss dabei teuer ausgeregelt werden. Sei es durch den Einsatz fossiler Kraftwerke oder das gezielte Abschalten von Grünstromanlagen. Beides verursacht der Gesellschaft steigende Kosten. Als entscheidende Stellschraube gelten Verbraucher: Je besser sie sich der Erzeugung anpassen können, desto günstiger ist Strom für sie selbst, die Netzkunden und den Steuerzahler. Weil in Deutschland fast die Hälfte des Stroms von der Industrie verbraucht wird, ist sie ein großer Hebel. Der Arbeitgeberverband Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw) hat eine Studie beauftragt, die zeigen soll, wie stark Bayerns Wirtschaft sich dem Wetter anpassen kann. Das Papier der Forschungsstelle für Energiewirtschaft liegt unserer Zeitung exklusiv vor.

■ Ausgangslage

Basis ist der „Bayernplan 2040“. Dieses Szenario zeigt, wie viele Windräder, PV-Anlagen, Batterien und Wasserstoffkraftwerke Bayern braucht, um sein selbst gestecktes Ziel zu erreichen, 2040 klimaneutral zu sein. Und eben auch, wie man das System stabil betreibt. 2040 wird Bayern dafür 30 Gigawatt (GW) flexibler Leistung brauchen. Das entspricht der Leistung von 30 mittelgroßen Atomkraftwerken, die, je nach Bedarf, Strom ins System speisen oder ihn daraus abnehmen können. Die Arbeitgeber machen sich dafür stark: „Wenn wir in der Industrie Flexibilitätspotenziale heben, hilft uns das dabei, die Energiewende zu meistern und Kosten zu senken. Gleichzeitig werden wir widerstandsfähiger gegenüber Krisen“, so vbw-Chef Bertram Brossardt.

■ Rolle der Industrie

Schon heute richtet sich die energieintensive Industrie nach den Bedürfnissen des Stromnetzes. So bieten etwa die Branchen Nicht-Eisen-Metalle, Glas und Grundstoffchemie den Netzbetreibern teilweise an, ihre Produktion je nach Auslastung hoch- oder herunterzufahren. Da geht es oft nur um Minuten. Das Potenzial ist bis dato überschaubar: 0,1 GW in Bayern, so die FFE. Bis 2040 könnten die bayerischen Betriebe insgesamt rund ein GW erreichen – quasi die Leistung eines mittelgroßen AKW, die die Industrie rauf- und runterregeln kann. Bundesweit sind es dann rund 7,5 GW.

■ Möglichkeiten

Die FFE betont, unisono mit der vbw: Nur die Betriebe selbst können entscheiden, welche Prozesse sich ökonomisch sinnvoll flexibilisieren lassen. Deshalb ist die Prämisse der Studie: Das oben genannte Potenzial ist so kalkuliert, dass die Produktion dabei unterm Strich nicht sinkt. Die Forscher geben einige Beispiele: In Zementwerken mache der Betrieb der Mühlen fast die Hälfte des Stromverbrauchs aus. Mit größeren Lagersilos könnten die Betriebe flexibel mahlen und die Drehöfen trotzdem konstant beliefern. In der Glasindustrie ist vor allem Temperatur gefragt. Durch hybride Öfen, die mit Gas und Strom geheizt werden, könnte überschüssiger – sehr günstiger – Netzstrom genutzt werden und in den Schwachstromphasen Erdgas. Auch die stromintensive Aluminiumelektrolyse habe Potenzial: Hier könne die Leistung um 25 Prozent nach oben oder unten geregelt werden. Aber auch in der Breite gebe es Möglichkeiten: Gussanlagen oder Lackierereien könnten mit anderen Schichtplänen arbeiten. Und besonders Kühlketten in der Lebensmittelindustrie müssten nicht 24/7 laufen: Meist könnte man den Strom auch ohne Einbußen zwischenzeitlich runterregeln.

■ Andere Flexibilitäten

Laut FFE-Studie kann die bayerische Industrie in Sachen Leistung nur rund ein Dreißigstel der Flexibilitätsnachfrage decken. Im 2040-Szenario des Bayernplans finden sich aber viele Stromabnehmer mit großer Leistung, die flexibel handeln können. Den Löwenanteil machen E-Autos aus. Die können, wenn sie strategisch geladen werden, immer Stromüberschüsse abnehmen. Mit einem kleinen Update können sie sogar gespeicherten Strom ins Netz zurückschicken. Die 800 000 E-Autos, die Bayern bis 2040 für seine Klimaziele braucht, könnten laut FFE so knapp 19 GW Leistung bereitstellen, die Kraft von 19 mittleren Atomreaktoren. Rechnet man Fahrzeiten und die Verfügbarkeit von Anschlüssen dazu, dürfte knapp die Hälfte davon dauerhaft verfügbar sein. Weitere große Blöcke könnten Power-to-Heat-Anlagen (5,4 GW), also Großwärmepumpen und industrielle Heizstäbe, Großbatteriespeicher (1,5 GW) und und Pumpspeicher (1 GW) ausmachen. Je mehr dieser Flexibilitäten genutzt werden, desto weniger teure Kraftwerke und Abregelungen braucht das Netz.

■ Vermarktung

Die Industrie kann heute schon an der Strombörse handeln. Bis zu fünf Minuten vor der Stromlieferung kann der Betrieb anhand des Handelspreises entscheiden, ob er Strom kaufen will oder nicht. Auch E-Autofahrer können sich über einen flexiblen Stromvertrag nach dem Markt richten. Was fehlt, ist ein Markt für netzdienliches Verhalten, so die FfE. „Wir brauchen einen Abbau von Fehlanreizen bei der Netzentgeltsystematik und eine Absenkung von Zugangsbarrieren“, so vbw-Chef Bertram Brossardt. An beidem wird aktuell gearbeitet: Die Bundesnetzagentur ermittelt in einer laufenden Konsultation, wie flexibel die Industrie Strom verbrauchen kann. Denn bisher werden der Schwerindustrie Rabatte gestrichen, wenn sie Strom flexibel verbraucht. Diese veraltete Regel soll reformiert werden. Und auch am Kapazitätsmarkt, der bis 2028 aktiv sein soll, sollen sich neben Kraftwerksbetreibern auch die Anbieter von Flexibilitäten bewerben können.

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