„Ab jetzt beginnt die Ära der Zumutungen“

von Redaktion

Sorgenkind Industrie: Hier ist die Stimmung aktuell besonders schlecht. Die Führung der bayerischen Industrie- und Handelskammern glaubt, ohne eine große Reform wird sich daran auch nichts ändern. © Jens Büttner

München – Dreimal im Jahr befragt der Bayerische Industrie- und Handelskammertag (BIHK) seine Mitgliedsunternehmen zur aktuellen Geschäftslage und den Zukunftserwartungen. Über 3000 Firmen beteiligen sich an der regelmäßigen Umfrage, die Ergebnisse gelten als verlässlicher Indikator, wie es um die Wirtschaft im Freistaat bestellt ist. Und im Frühjahr sah es kurz so aus, als gäbe es mitten im Stimmungstief zumindest einen kleinen Hoffnungsschimmer: Bei den Dienstleistungsunternehmen war vorsichtiger Optimismus gekeimt.

Als BIHK-Hauptgeschäftsführer Manfred Gößl gestern in München die jüngsten Umfrageergebnisse präsentierte, war aber klar: Die Hoffnung ist verflogen. Im Freistaat hat sich die Stimmung in den Chefetagen weiter verschlechtert. „All die guten Nachrichten, die wir hatten – das ist jetzt alles wieder vorbei“, sagte Gößl.

Der BIHK-Konjunkturindikator, der sowohl die Geschäftslage als auch die Erwartungshaltung der befragten Unternehmen in einem Wert zusammenfasst, ist weiter abgesackt – von 107 Punkte im Frühjahr auf jetzt 99 Punkte. Nach Angaben des BIHK der niedrigste Stand seit Herbst 2022. Damals habe das Ende der russischen Erdgaslieferungen für enorme Verunsicherung und einen rasanten Anstieg der Energiepreise geführt. Zum Vergleich: In den Jahren 2017 bis 2019, also noch vor der Corona-Krise, pendelte der Wert des Konjunkturindikators zwischen 130 und 140 Zählern.

Gößl nannte gestern zwei wesentliche Ursachen: zum einen eine Flaute im Exportgeschäft und zum anderen einen rückläufigen Konsum innerhalb des Landes. Größtes Sorgenkind sei aktuell die Industrie, sagte der BIHK-Chef. Denn hier ist die Stimmung besonders stark eingebrochen, sagte Gößl mit Verweis auf die Umfrage. Betroffen sei insbesondere die energieintensive Industrie, dazu zählten etwa die Chemie-, die Glas-, die Porzellan- und die Zementindustrie. Die Kapazitäten seien nicht ausgelastet und eine starke Nachfrage aus China gebe es anders als in früheren Jahren nicht mehr.

„Was hier passiert ist eine Strukturkrise“, sagte Gößl. „Strukturkrise heißt: Es wird nicht besser sein, wenn wir im Januar wieder berichten.“

Zumal die Unternehmen in Bayern auch immer weniger investieren wollen, wie aus der Umfrage hervorgeht. Dabei seien gerade jetzt private Investitionen für die Zukunft der Wirtschaft extrem wichtig, wie Gößl betonte. „Das Ganze wird dazu führen, wenn hier nicht investiert wird, dass es kein Wachstum geben wird, ganz eindeutig.“

Mit Folgen für die Beschäftigten: „Die Arbeitsplätze werden abgebaut, das sagt uns die Mehrzahl der Firmen.“ Nur noch 13 Prozent der bayerischen Unternehmen planten, Stellen aufzubauen.

Bleibt die Frage: Wie ließe sich eine solche Strukturkrise lösen? Mit Strukturreformen, wie BIHK-Präsident Klaus Josef Lutz betonte. Lutz, der zuletzt wegen seiner früheren Rolle als Chef des knapp an der Pleite vorbeigeschlitterten Agrarkonzerns Baywa für Schlagzeilen gesorgt hatte, sprach sich gestern in seiner Position als BIHK-Präsident für tiefgreifende Reformen aus. „Mich erinnert das Ganze an die 90er-Jahre, wo man schon einmal eine Strukturkrise hatte“, sagte Lutz. Daraufhin habe die Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) mit einem großen Reformpaket, der „Agenda 2010“, auf die Krise reagiert. „Wir brauchen dringend so etwas wie damals“, forderte Lutz.

BIHK-Hauptgeschäftsführer Manfred Gößl sagte: „Ab jetzt beginnt das Zeitalter der Zumutungen.“ Kleinstförderprogramme müssten abgeschafft werden, Anreize für mehr Arbeit gesetzt werden, die Einzelfallgerechtigkeit im Steuersystem müsse enden, auch wenn das manche finanziell treffen würde. Jeder müsse jetzt seinen Teil leisten.

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