Warum Tech-Riesen auf Atomkraft bauen

von Redaktion

Das Atomkraftwerk Three Mile Island in Pennsylvania soll teilweise wieder in Betrieb genommen werden, um Microsoft mit Strom zu versorgen. © JIM LO SCALZO, epa

New York – Energie ist der zentrale Rohstoff für Hightech-Riesen wie Google oder Microsoft. Billig und klimaneutral soll sie sein. Deshalb bauen die Konzerne auch auf Atomenergie. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema.

Warum brauchen Amazon, Google und Microsoft so viel Energie?

Die drei US-Technologieunternehmen investieren viel Geld in Künstliche Intelligenz. Solche Anwendungen verändern ganze Berufsbilder, sollen das Arbeiten erleichtern. Die Möglichkeiten der Technologie scheinen unbegrenzt. Allerdings benötigt zum Beispiel die Suche mit einem KI-Programm wie ChatGPT ein Vielfaches des Stroms einer normalen Google-Suche. Weil der KI-Bereich wächst, brauchen die Rechenzentren der Amazon-Tochter AWS, von Google und Microsoft, deutlich mehr Energie als bisher. Experten von Schneider Electric schätzen, dass sich der Energiebedarf für KI-Anwendungen von derzeit 4,5 auf 19 Gigawatt in vier Jahren erhöhen wird – das entspricht zwölf bis 16 herkömmlichen Atomkraftwerken (AKW).

Was planen Amazon, Google und Microsoft?

Die drei US-Technologieriesen wollen Strom aus AKW beziehen. Solche Anlagen liefern gleichmäßig Strom, der CO2-frei ist. Wichtig, weil die Unternehmen klimaneutral werden wollen.

Wie geht Microsoft vor?

Microsoft hat einen Vertrag mit Constellation Energy geschlossen. Das Unternehmen soll 20 Jahre lang Strom liefern und will deshalb Block 1 des AKW Three Mile Island wieder ans Netz bringen. Die Anlage in der Nähe von Harrisburg, Pennsylvania, ist seit 2019 abgeschaltet und sollte abgerissen werden. In Block 2 kam es 1979 zu einer teilweisen Kernschmelze, der schlimmste Zwischenfall in der kommerziellen Atomenergienutzung der USA.

Lässt sich ein Atomkraftwerk grundsätzlich wieder hochfahren?

Im Prinzip ja, sogar in Deutschland. Je nach Zustand der Anlage kostet das allerdings viel Geld. Möglicherweise so viel, dass sich ein Neubau eher lohnt. In Deutschland müsste der Bundestag das Atomgesetz ändern. Auf jeden Fall muss die Anlage neu genehmigt werden. Dabei wird auch die Bevölkerung beteiligt. Auch die Atomaufsicht muss zustimmen. Die Verfahren können sich über mehrere Jahre hinziehen.

Welchen Weg gehen Amazon und Google?

Google hat beim US-Unternehmen Kairos Power sieben Mini-Reaktoren bestellt. Es ist der erste Auftrag dieser Art überhaupt. Kairos arbeitet an einem Small Modular Reactor (kleiner modularer Reaktor, SMR). Eine Testanlage soll 2027 in Betrieb gehen. Google will Strom aus einer regulären Anlage bereits von 2030 an beziehen. Über finanzielle Einzelheiten schwiegen sich beide Seiten aus.

Amazon überweist dem Start-up X-Energy 500 Millionen Dollar für den Bau eines SMR-Prototyps. Sollte es etwas werden, geht der Strom an Amazon. Anfang des Jahres kaufte der Konzern bereits für 650 Millionen Dollar ein Rechenzentrum auf dem Gelände eines klassischen Atomkraftwerks. Auch finanziert Amazon Northwest Energy die Entwicklung von vier SMR, die rund 770 000 Haushalte versorgen sollen.

Was sind SMR?

Unter dem Begriff sind kleinere Atomreaktoren mit einer Leistung von bis zu 350 Megawatt zusammengefasst. Das größte deutsche AKW Isar 2 hatte 1485 MW elektrische Leistung. Neue Reaktoren wie im finnischen Olkiluotu haben 1600 MW. Die Idee hinter den Mini-Reaktoren: Statt ein großes AKW zu bauen, sollen viele kleine, standardisierte in großen Mengen hergestellt werden, was die Kosten senkt. SMR sollen auch sicherer sein. Eingesetzt wird zum Teil neue Technologie. Kairos etwa arbeitet an einem Reaktor, in dem geschmolzenes Salz statt Wasser den radioaktiven Brennstoff kühlt. Die deutsche Firma Dual Fluid setzt auf flüssiges Uran und flüssiges Blei. Herkömmliche Reaktoren nutzen feste Brennstäbe und Wasser als Kühlmittel.

Wie wahrscheinlich sind die Pläne?

Was gut klingt, ist bisher nur Theorie. „Die Lücke zwischen Hype und Realität der SMR wächst weiter“, heißt es im aktuellen World Nuclear Industry Status Report, eine Art Standardwerk zum Stand der Atomindustrie weltweit. Staatliche wie private Programme reichen zurück bis 2012. Ideen gibt es viele, funktionierende Anlagen fehlen. Nur in Russland produzieren zwei SMR – verkleinerte herkömmliche Reaktoren – auf einem Schiff Strom.

Rechnet sich das?

Bei den SMR ist die Lage klar: Es rechnet sich nicht. Im Herbst 2023 beendete das US-Unternehmen Newscale ein Kraftwerksprojekt – trotz genehmigtem Prototyps. Der Strom wäre um ein Vielfaches teurer gewesen als etwa aus erneuerbaren Quellen oder konventionellen AKW. Auch die große Stückzahl, die nötig ist, um die Kosten der SMR zu drücken, lässt sich wohl nicht erreichen. Zulassungs- und Genehmigungsverfahren können sich Jahre hinziehen. Experten halten es insgesamt für Wunschdenken, dass Anfang der 30er-Jahre funktionierende SMR laufen. Auch Endlagerkosten sind meist nicht einkalkuliert.

Wie wichtig ist Atomkraft für die Tech-Konzerne?

Angesichts des Gigawatt-Bedarfs sind die Mengen vergleichsweise übersichtlich: Kairos etwa soll Google bis zu 500 MW Atomstrom pro Jahr liefern. Das ist eher ein Zusatz zum Energiemix. Alle drei Tech-Konzerne investieren umfangreich in Erneuerbare Energien. Microsoft etwa will hier weltweit rund 10,5 Gigawatt Leistung aufbauen. Die Kosten schätzt der US-Konzern auf zehn Milliarden Dollar. Amazon nutzte 2023 mehr als 20 Gigawatt Strom aus Solar-, Wasser und Windkraftwerken. Google wollte in den vergangenen drei Jahren rund vier Milliarden Dollar in Erneuerbare Energien stecken.

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