Ukraine-Flüchtlinge: Qualifizierte werden ausgebremst

von Redaktion

München – Rund 30 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge, die bis Juni 2022 nach Deutschland kamen, haben inzwischen einen Job. Das ergab eine Auswertung des Bundesamts für Bevölkerungsforschung. Die Autoren sehen zwei wesentliche Gründe für diesen überdurchschnittlichen Anteil: Im Gegensatz zu anderen Schutzsuchenden wurden den Ukrainern unkompliziert befristete Aufenthaltstitel erteilt, mit denen sie arbeiten dürfen. Zum anderen wurden die Ukrainer als Bürgergeldempfänger in die „Strukturen der Jobcenter und ihrer Vermittlungs- und Förderangebote eingebunden“.

Im internationalen Vergleich ist das aber keineswegs überdurchschnittlich: In vielen europäischen Länder arbeiten über 60 Prozent der Flüchtlinge. Dietrich Tränhardt hat für die SPD-nahe Hans-Böckler-Stiftung dazu geforscht. Seine Erkenntnis: Nicht jedes Modell ist gut.

„In den Niederlanden sind deutlich mehr ukrainische Flüchtlinge in Arbeit als in Deutschland. Das sind aber oft schlechte Jobs, weshalb der Fall nicht wirklich als Vorbild dient. Wir wollen ja nicht, dass gut ausgebildete Leute Pizza ausfahren“, so Tränhardt.

Osteuropa habe es besser gemacht: „Polen, Tschechien und das Baltikum haben pro Kopf deutlich mehr Ukrainer aufgenommen, und es haben jeweils über 60 Prozent eine Arbeit. Das sind auch tendenziell höher qualifizierte Berufe.“ Hilfreich war: Sie hätten direkt nach Ausbruch des Krieges ein Verfahren eingeführt, wo die Ukrainer mit einem einzigen Behördengang Aufenthaltstitel, Arbeitserlaubnis und Sozialversicherung bekommen konnten. In Deutschland seien dafür mehrere Amtsgänge notwendig. Das kostet Zeit.

„Zum anderen wurden Gesetze erlassen, die die ukrainischen Berufsabschlüsse anerkennen.“ Denn: „In Deutschland werden jedes Jahr insgesamt ungefähr 60 000 Berufsabschlüsse anerkannt. Wir hatten aber allein in der ersten Welle 600 000 Flüchtlinge aus der Ukraine.“

Daraus ergebe sich ein Anreizdefizit: „Die Situation in Deutschland ist zwei Faktoren geschuldet: Durch das Bürgergeld muss man nicht jeden Job annehmen, man muss sich nicht ausbeuten lassen.“ Das hindere zwar niemanden mit einer guten Qualifikation daran, arbeiten zu gehen. „Aber dafür müssten die Abschlüsse anerkannt werden.“

Der Schluss: „Wer in einem qualifizierten Beruf arbeiten will, geht eher nach Estland oder Polen.“ Ein Kardinalfehler seien zum Beispiel die Berufskraftfahrer: „Die EU hat schon im Juni 2022 den Rechtsrahmen für die Anerkennung geschaffen. Das deutsche Verkehrsministerium hat 22 Monate für die Umsetzung gebraucht.“


MATTHIAS SCHNEIDER

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