INTERVIEW

„Erfolg kommt nicht von allein“

von Redaktion

BMW-Werksleiter Harald Gottsche über deutsche Planungswut, Mexiko und Trump

Werksleiter Harald Gottsche auf dem BMW-Gelände in San Luis Potosí. Hinter ihm ist eine der unzähligen Kakteen, die der Bayer dort hat pflanzen lassen. © Daniel Kraus

San Luis Potosí – Im Moment arbeiten rund 1,9 Millionen Deutsche im Ausland. Einer von ihnen: Harald Gottsche, der für BMW ein Werk mit 3700 Mitarbeitern in der mexikanischen Stadt San Luis Potosí leitet. Wie sieht er die deutsche Debatte über die Standortkrise in seinem Heimatland? Was droht der mexikanischen Wirtschaft und den deutschen Autobauern, falls die Amerikaner am Dienstag erneut Donald Trump zum Präsidenten wählen? Und wie lebt und arbeitet es sich als Deutscher in Mexiko? Das haben wir Gottsche bei einem Besuch in San Luis Potosí gefragt.

Herr Gottsche, Sie leiten seit vier Jahren das BMW-Werk in San Luis Potosí. Wie verschlägt es einen als Bayer nach Mexiko?

Ich war für BMW schon früher viel in Ländern wie Südafrika oder den USA unterwegs. Als das Werk hier in Mexiko errichtet wurde, war ich von 2016 bis 2018 am Aufbau beteiligt, ging dann aber zurück nach München und übernahm dort den Job als Leiter der Montage. 2020, also ein Jahr nach dem Start der Produktion in Mexiko, fragte mich mein Chef, ob ich Werksleiter in San Luis Potosí werden will – es ist das Partnerwerk des Stammwerks in München. Da musste ich nicht lange überlegen.

Mexiko gilt wegen der Drogenkartelle als heißes Pflaster. Hatte Ihre Familie keine Bedenken?

Natürlich war eine gewisse Angst da, in deutschen Medien wird im Zusammenhang mit Mexiko vor allem über Kartelle, Drogen und Gewalt berichtet. Meine große Tochter hat damals gerade studiert, die kleine Abitur gemacht. Trotzdem kam meine Frau mit unserer kleinen Tochter nach.

Haben sich die Ängste bestätigt?

Nein. Mexiko hat sensationelle Natur, Kulturdenkmäler, Pyramiden und sehr freundliche Menschen, die es einem leicht machen, hier anzukommen. Ich bin Motorradfahrer und fahre kreuz und quer durch das Land. Wenn man ein paar Grundregeln beachtet – sich von komischen Clubs fernhalten, nachts nicht in die falschen Viertel gehen, auf den Straßen bleiben – kann man sich hier frei bewegen.

Wirklich?

Sogar meine Tochter ist mit 17 Jahren mit öffentlichen Bussen quer durch Mexiko gefahren und ihr ist nichts passiert. Mexiko ist ein tolles Land, und es ist schade, dass die Negativnachrichten die Schlagzeilen dominieren.

Trotzdem ist vieles hier anders als in Bayern, oder?

Der Verkehr ist sehr abenteuerlich und das Essen gut, aber fleischlastig und scharf. Und die mexikanische Kultur lebt stark im Hier und Jetzt. Das passt nicht immer zur deutschen Planungswut. Aber man kann sich von der Lebensfreude auch etwas abschauen. Mexikanische Partys sind Welten besser als deutsche.

San Luis Potosí ist Münchens Partnerwerk. Wie klappt die Kooperation?

Wir produzieren hier wie in München die 3er-Reihe, und die Partnerschaft zielt darauf ab, den Anlauf von Serienproduktionen reibungslos hinzubekommen. Wir profitieren in Mexiko also von den Münchner Erfahrungen.

Wenn ich mir in Bayern einen 3er kaufe, kommt der dann aus Mexiko?

Wenn es eine Limousine ist wahrscheinlich schon, da das Münchner Werk mit dem Bau anderer Modelle wie dem i4 oder dem 3er-Kombi sehr ausgelastet ist.

Und der mexikanische 3er ist genauso gut zusammengeschraubt wie der Münchner?

Besser! Aber Spaß beiseite: Beim internen Qualitätswettbewerb schneidet Mexiko wirklich sehr gut ab. Das liegt aber auch an der guten Unterstützung aus München.

Sie exportieren vor allem auch in die USA. Ursprünglich war die Produktion in Mexiko für BMW charmant, weil man sich die US-Zölle gespart hat. Ist das noch so?

Mexiko ist nicht nur wegen der Zölle, sondern auch wegen der vielen Lieferanten und den guten Arbeitskräften interessant. Aber richtig: Wegen der vielen Freihandelsabkommen kann man von hier aus zollfrei nach Europa, Kanada oder Australien exportieren. Mexiko ist auch Teil der USMCA-Zone, in der man unter bestimmten Voraussetzungen ohne Zölle mit den USA handeln darf. Die Anforderungen erfüllen wir nicht ganz, weil unsere Motoren aus Österreich kommen. Deshalb zahlen wir derzeit vertretbare 2,5 Prozent Zoll. Es ist aber wichtig, dass wir in dieser Zone sind, weil wir viele Teile mit unserem Werk in Spartanburg austauschen, dem größten im BMW-Verbund.

Schauen Sie mit einem mulmigen Gefühl auf die US-Wahl? Immerhin könnte Trump wieder ans Ruder kommen, und er hat mit hohen Zöllen auf deutsche Autos und Produkte aus Mexiko gedroht.

Mexiko und die USA sind eng verwoben, auch die US-Autofirmen haben alle Werke hier in Mexiko. Wenn sie an der Grenze stehen, sehen Sie, wie viele Lastwagen jeden Tag mit Waren von Süden nach Norden und zurück in die Gegenrichtung fahren.

Sie glauben nicht, dass Trump tut, was er sagt?

Wie gesagt: Die beiden Länder brauchen sich gegenseitig.

Als Expat ins Ausland: Das bieten viele deutsche Konzerne. Ist das auch eine Chance, Arbeitskräfte ans Unternehmen zu binden?

Ja, und es ist auch für jeden persönlich eine Chance. Ein Auslandsaufenthalt ist immer mit Unsicherheit verbunden. Man verlässt Haus, Freunde, Sportverein. Aber wenn man offen ist, ist das eine riesige Chance. Man lernt eine neue Sprache und eine neue Kultur kennen und bekommt einen anderen Blick auf die Welt.

Wie sehen Sie denn mit diesem anderen Blick die deutschen Debatten über die Standortkrise?

Einerseits können wir stolz darauf sein, was wir uns in Deutschland erarbeitet haben. Soziale Sicherung, gute Bildungsmöglichkeiten, hochwertige Universitäten, Rechtssicherheit, Sicherheit, eine stabile Gesellschaft und immer noch eine gute Infrastruktur: all das gibt es in Ländern wie Mexiko nicht in diesem Maße.

Und andererseits?

Wir müssen aufpassen, dass uns diese Errungenschaften nicht verloren gehen. Es wird zu wenig investiert, und viele Debatten führen in die falsche Richtung. Ein Mexikaner, der in der Regel 48 Stunden pro Woche arbeitet und 13 oder 14 Tage Urlaub im Jahr hat, versteht nicht, warum wir in Deutschland über 4-Tage-Woche und Recht auf Home-Office diskutieren. Wir müssen uns entscheiden, wo wir hinwollen und wieder anerkennen, dass Erfolg nicht von allein kommt. Interview: Andreas Höß

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