INTERVIEW

„Richtig los ging es mit KI“

von Redaktion

Nvidia-Deutschland-Chef über die Chancen von klugen Computern

Dieses BMW-Werk ist nicht echt, sondern eine fotorealistische Simulation. Hier werden im virtuellen Raum Produktionsabläufe geplant und Roboter trainiert. © Nvidia

Der Chipkonzern Nvidia gilt als größter Profiteur der Erwartungen in die Künstliche Intelligenz. Ein beliebtes Bild: Für den KI-Goldrausch verkauft Nvidia die Schaufeln. Der US-Konzern, der umgerechnet rund drei Billionen Euro Börsenwert hat und künftig Intel im Dow-Jones-Index ersetzen wird, unterhält auch in München einen Standort mit 300 Mitarbeitern, in Deutschland sind es 750. Im Interview erklärt Deutschland-Chef Ludwig von Reiche, was seine Kunden sich von der KI versprechen, wie sie unser Leben verändern wird und wo die Grenzen der selbstlernenden Maschinen sind.

Herr von Reiche, Nvidia ist eines der wertvollsten Unternehmen der Welt, maßgeblich getrieben durch die KI-Euphorie an den Börsen. Was genau sind die Treiber?

Wir haben 2006 erstmals eine Plattform aufgesetzt, die paralleles Rechnen ermöglicht. Das hat etwa die Medizin genutzt. So richtig los ging das aber erst in jüngerer Vergangenheit mit den KI-Anwendungen. Wir verkaufen unsere KI-Plattform an die großen Rechner-Hersteller wie Dell, HP und Lenovo. Dann haben wir spezialisierte Partner, die Grafikkarten für uns herstellen, die für PC-Gaming genutzt werden. Und dann eben die Industriekunden wie BMW und Siemens, die mit unseren Plattformen Produktionslösungen bauen. Da geht es etwa darum, Prozesse in Fabriken zu simulieren. Aber vor allem das Rechenzentrumsgeschäft hat in jüngerer Vergangenheit enorm zugelegt.

Was genau tun diese Plattformen?

Unsere KI-Plattform besteht aus Prozessoren, Netzweklösungen und deren Integration in Rechner. Dazu bieten wir eine Vielzahl an Software-Bibliotheken, die Unternehmen nutzen können, um ihre Fertigung zu optimieren oder ihre Fabriken zu planen.

Groß geworden sind Sie mit einem anderen Segment.

Nvidia wurde 1993 im Silicon Valley gegründet, um Computergrafik zu verbessern. Und die ersten Anwender dieser Grafik waren Computerspiele-Hersteller und sonst niemand. Und das tun wir auch heute noch. Dazu ist aber jetzt das Plattformgeschäft gekommen, wo die Industrie mithilfe von KI ihre Prozesse verbessert.

Wie wichtig ist der Software-Bereich für Sie?

Von unseren weltweit 30 000 Mitarbeitern sind mehr Software- als Hardware-Entwickler. Die Vielfalt des Angebots macht es nötig, dass die Software-Bibliotheken ordentlich gepflegt werden. Das passiert auch hier in Deutschland.

Wie wichtig ist Deutschland für Nvidia?

Ein Viertel unserer Mitarbeiter in Deutschland arbeitet direkt mit Kunden zusammen. Die Hälfte aber entwickelt Produkte. Zurück zum Beispiel BMW: Die schaffen mit unserer Plattform vor dem Bau einer Fabrik einen digitalen Zwilling, mit Robotern, Mitarbeitern und so weiter. Damit wird am Computer simuliert, wie man den Betrieb am besten gestaltet. So muss man Fehler nicht mehr in der Realität machen. Und die Erfahrungen aus solchen Projekten fließen natürlich auch in unsere Entwicklung ein.

Abgesehen von den Fabriken: Wofür braucht die Automobilindustrie die KI?

Da geht es mehrheitlich um Sicherheitssysteme. Das sind Themen, die wir in Deutschland vor allem in Zusammenarbeit mit Mercedes vorantreiben. Primär entwickeln wir Lösungen, die Verkehrsdaten in Echtzeit verarbeiten können und ein Fahrzeug damit teilautonom und künftig auch autonom steuerbar machen.

Manche vergleichen KI mit der Entdeckung des Feuers. Wie sehr wird sie unser Leben prägen?

Heute ist die KI in vielen Bereichen noch nicht so weit, eigene Entscheidungen zu treffen. Es kommt auf das Zusammenspiel mit kompetenten Menschen an, die damit umgehen können. Es gibt Beispiele aus der Personalverwaltung. Überall da, wo Menschen draufgeschaut haben, ist das Ergebnis besser. Abgesehen davon, dass reine KI-Entscheidungen im Personalwesen in Europa nicht zulässig sind.

Und wo kann die KI Unternehmen helfen?

Sie kann besonders repetitive Tätigkeiten ausführen. Aus Sicht eines Unternehmens ist es nicht so sinnvoll, einen Staplerfahrer zu bezahlen, der den halben Tag rumzusteht und auf einen Auftrag wartet. Das ist auch für den Fahrer nicht so erfüllend. Genau das ist aber ein Problem, das etwa BMW in seinem Werk in Spartanburg hatte. Wenn das durch einen sicher operierenden, KI-gesteuerten Roboter ersetzt wird, ist das für alle ein sinnvolles Vorhaben. Es wird aber auch viele Bereiche geben, wo die KI nicht komplett übernimmt, sondern unterstützt.

Nämlich?

Es gibt in der Medizin KI-basierte Programme, die Röntgen- oder MRT-Bilder auswerten können. Weil sie mit so vielen Bildern trainiert werden, haben sie einen großen Erfahrungsschatz, mit dem sie Hinweise auf Veränderungen geben können. Das System kann nicht entscheiden: Das ist ein Krebs und der muss so behandelt werden. Aber er hilft dem Arzt, schneller zu einer qualifizierten Entscheidung zu kommen.

Eigentlich eine angenehme Vorstellung.

Ich kann gut damit leben. Wie schnell sich das durchsetzt, hängt aber auch von kulturellen Faktoren ab. Wenn Lagerarbeiter in anderen Ländern nur mit einem Bruchteil des Lohns ausgestattet sind, wird der Druck nicht so groß sein. Aber in einem Hochlohnland wie Deutschland und mit unserer Alterspyramide gibt es Bedarf.

Deutschland hat keinen guten Ruf, was Digitalisierung angeht. Wie schätzen Sie das ein?

Das stimmt so pauschal nicht. Das deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz ist 37 Jahre alt. Es gibt viele Forschungseinrichtungen, die besonders im Umfeld der Fertigungsindustrie weltweit führend sind. Wo wir vielleicht nicht so führend sind, ist, diese Erkenntnisse schnell in die Industrie zu bringen. Wenn an einem Institut etwas entwickelt wurde, gibt es nicht unbedingt den ausgeprägten Anreiz, das einer Kommerzialisierung zuzuführen. Da hat München und die TU München vor allem viel getan, um das zu verändern. In Deutschland fehlt es bisher aber vor allem an der Finanzierung.

Das ist eine Gefahr, oder?

Genau. Wenn es in Deutschland ein interessantes Start-up gibt, das schnell wachsen muss, kommen meist Investoren aus den USA, Kanada oder China. Und dann muss man aufpassen, dass das Unternehmen danach nicht irgendwann weg ist. In den USA wird pro Kopf 20 Mal mehr in Start-ups investiert als in Deutschland.

Weshalb ist das so?

Zum einen gibt es in den USA große Kapitalsammelstellen, die Pensionsfonds. Die gibt es bei uns so nicht, weil wir ein umlagefinanziertes Rentensystem haben. Wir haben zwar große Versicherer, aber die werden durch gesetzliche Regulierung daran gehindert, mehr als einen ganz kleinen Teil ihres Kapitals in Aktien zu investieren. Das soll sich jetzt ändern, aber das wird dauern. Außerdem haben wir in Deutschland eine ganz andere Aktienkultur. Die Deutschen sind sehr risikoavers. Das gilt auch für den Blick auf Unternehmertum.

Was heißt das?

Wenn jemand im Silicon Valley eine Pleite hinlegt, gilt das dort fast als Auszeichnung. In Deutschland spüren wir noch die Nachwirkungen einer Regelung, nach der ein gescheiterter Unternehmer zehn Jahre lang kein Geld von der Bank bekommen hat. Das wurde schon vor vielen Jahren abgeschafft, aber mental ist das immer noch präsent. Und an diesen drei Stellschrauben müssen wir dramatisch schneller arbeiten, als wir es heute tun. Interview: Matthias Schneider

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