Mangels Betreuungsplätzen in Kindergärten und Schulen sind Mütter auch noch Jahre nach der Geburt ihrer Kinder mehr zu Hause als sie wollen. © Uwe Anspach/dpa
Wiesbaden – Wie tickt Deutschland? Alle drei Jahre liefert der gemeinsam von Forschern des Bib und des WZB, der Bundeszentrale für politische Bildung und des Statistischen Bundesamts herausgegebene Sozialbericht umfangreiche Daten zu Dingen wie Arbeit, Vermögen und Zufriedenheit der Bundesbürger mit ihrem Leben. Letztere ist erstaunlich gut, wie die neueste Ausgabe zeigt. Die Deutschen sind auch vermögender geworden. Und die Experten weisen einmal mehr auf ein enormes Potenzial hin, um den Fachkräftemangel zu mildern.
■ Fachkräfte
Der Fachkräftemangel ist eines der großen Probleme der deutschen Wirtschaft. Seit Jahren schlagen Experten vor, Frauen stärker einzubinden. Der Sozialbericht liefert belastbare Zahlen, wie groß das Potenzial allein bei Familien ist. Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (Bib) hat untersucht, wie viel Mütter und Väter je nach Alter des jüngsten Kindes gern arbeiten würden, und das mit den echten Arbeitszeiten verglichen. Vor allem Frauen würden danach gern mehr tun. Wäre das möglich, stünden dem Arbeitsmarkt rechnerisch 640 000 Vollzeitkräfte mehr zur Verfügung, so die Forscher.
Ein Grund, dass Frauen weniger arbeiten, als sie wollen: fehlende Ganztagsbetreuung an Kitas und Schulen. Sie sollte aus Sicht der Experten ausgebaut werden. Auch sollten die Arbeitgeber flexiblere Arbeitszeitmodelle anbieten und so Mütter fördern. Es gibt auch Zahlen zu Vätern. Die arbeiten mehr, als sie eigentlich wollen. Könnten sie die aus ihrer Sicht ideale Zahl von Stunden arbeiten, verlöre der Arbeitsmarkt grob 320 000 Vollzeitkräfte. Befragt wurden rund 30 000 Erwachsene zwischen 20 und 80 zu dem Thema.
■ Zufriedenheit
Mit ihrem Leben sind die Bundesbürger sehr zufrieden. Auf einer Skala von 0 „vollkommen unzufrieden“ bis 10 „vollkommen zufrieden“ liegen die Werte um die 7,4. Philip Wotschack vom Wissenschaftszentrums Berlin (WZB), das den Sozialreport mit herausgibt, sprach von einem allgemein hohen Niveau. Seit 2004 ging es deutlich aufwärts, wie Zahlen des Sozioökonomischen Panels zeigen. Allerdings gab es 2021 einen Knick nach unten.
Für das Panel befragt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin jährlich wiederkehrend dieselben Haushalte umfangreich zu ihrer Lebenssituation. Aufwärts ging es beim Einkommen und bei der eigenen Wohnung. Hier sind die Bundesbürger deutlich zufriedener mit ihrer Situation als vor mehr als zehn Jahren. Die neuesten Daten stammen von 2021. Neuere sind im Sozialbericht nicht erfasst, das politische Hickhack der Ampelregierung, die teils stark gestiegenen Preise im Zuge des Ukraine-Krieges und die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank flossen nicht ein. Allerdings auch nicht die hohen Lohnzuwächse der vergangenen Jahre.
■ Vermögen
Ihre Vermögen haben die Bundesbürger zwischen 2011 und 2021 um 62 Prozent auf im Schnitt 316 500 Euro erhöht. Getrieben wurde das Plus wesentlich von den Preisen für Häuser und Wohnungen, die in der betrachteten Zeit um 39 Prozent zulegten. Die Vermögen sind allerdings dem WZB zufolge ungleich verteilt. Zehn Prozent der reichsten Bundesbürger besitzen 55,5 Prozent des Gesamtvermögens, damit sind Vermögen in Deutschland etwas ungleicher verteilt als im Rest Europas.
Und: Während in Ostdeutschland jeder Haushalt im Schnitt 151 000 Euro besitzt, sind es im Westen 360 000 Euro. Als Gründe nennen die Experten geringere Löhne im Osten, einen schwachen Immobilienmarkt und die Geschichte: In der DDR ließ sich kaum Vermögen aufbauen. Im Westen wird dagegen viel altes Vermögen vererbt. Im Schnitt wohnen 41,8 Prozent der Bundesbürger in einer eigenen Immobilie. In Berlin und Hamburg sind es mit 16 und 20,1 Prozent am wenigsten, im Saarland mit 59,5 Prozent am meisten.
Erfasst beim Vermögen sind neben Immobilien, Autos, privater Altersvorsorge, Geldanlagen, Hypotheken und andere Kredite. Nicht erfasst sind zum Beispiel Ansprüche auf staatliche Rente, Pensionen oder eine Betriebsrente. Würden sie einbezogen, dürfte sich das Nettovermögen verdoppeln, sagte Markus Grabka vom DIW. Solche Ansprüche lassen sich aber anders als Wohnungen oder Aktien nicht beleihen oder verkaufen, weshalb sie in den Statistiken zum Vermögen üblicherweise nicht eingerechnet werden.
■ Demokratie
In Westdeutschland hielten 87 Prozent der Bundesbürger die Demokratie 2022 für die beste Staatsform, wie der Sozialbericht zeigt, in Ostdeutschland sind es 80 Prozent. So richtig begeistert sind aber nicht alle davon, wie sie funktioniert. 72 Prozent der Westdeutschen und nur 42 Prozent der Ostdeutschen sagten Anfang 2023, sie seien ziemlich oder vollkommen zufrieden. Der Schnitt in Osteuropa sind 48 Prozent, in Westeuropa 65 Prozent. Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, bezeichnete die schwachen Werte vor allem im Osten als dramatisch.