Der Abbau von Gips hinterlässt Spuren in der Natur. Doch nicht nur deshalb könnte Gips bald knapp werden: wegen dem Kohle-Aus fehlt in einigen Jahren ein wichtiger Ausgangsstoff. © Knauf
Iphofen – Gips gibt es nicht mehr, zumindest nicht mehr in der Menge wie bisher. Das hängt mit dem Kohleausstieg zusammen. Er stellt die Bauindustrie vor eine überraschend neue Situation. Denn sie braucht große Mengen des Rohstoffs, und bisher kamen bis zu 60 Prozent des Gipses in Deutschland aus der Reinigung der Abgase von Kohlekraftwerken, genauer: aus deren Rauchgas-Entschwefelungsanlagen. Spätestens 2038 ist damit ganz Schluss, bis dahin sollen nach und nach alle Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Nun gibt es Streit.
Die Gipsindustrie will die natürlichen Gipsvorkommen in Deutschland stärker abbauen. Die ziehen sich von Rottweil und Schwäbisch Hall in Baden-Württemberg nach Nordbayern und über Nordhessen bis zum Gipsgürtel im Südharz. Der Gips – chemisch ein Calciumsulfat – ist vor vielen Millionen Jahren entstanden, zu Zeiten als dort tropische Flachmeere in heiß-trockenem Klima austrockneten. Umweltschützer fürchten, dass einzigartige Landschaften mit zahlreichen Höhlen zerstört werden, etwa im Südharz.
Dort will die Firma Knauf aus Iphofen mit Probebohrungen nach Gips suchen, auch im Biosphärenreservat Karstlandschaft Südharz in Sachsen-Anhalt. Alle Mitglieder des Deutschen Naturschutzrings DNR, des Dachverbands der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzorganisationen haben sich nun gemeinsam dagegen ausgesprochen. Umweltschützer fordern schon seit Längerem, stattdessen zum Beispiel das Recycling von Gips auszuweiten.
Bau braucht zehn Millionen Tonnen
Nachfrage bei Jörg Michael Bunzel, der die Technologieentwicklung des Unternehmens Mitteldeutsche Umwelt und Entsorgung (MUEG) nahe Leipzig leitet. Schon vor zehn Jahren hat er mit seinen Kollegen dort eine Anlage entwickelt, in der aus altem Gips neuer gemacht wird. Sie waren damit die Ersten in Deutschland. Ihr Geschäft sei wegen der kommenden Gipslücke „zukunftsträchtig“, sagt Bunzel. Nur: „Es wird mehr Gips gebraucht, als wir anbieten können.“ Er beruhigt sogleich. Wer sich ein Bein oder Arm gebrochen habe, bekäme heute nur noch selten einen Gips, eher eine Schiene. Zahnabdrücke aus Gips oder Gipsformen, in denen Dachziegel gebrannt würden – auch darum gehe es weniger. Doch würden in Deutschland pro Jahr etwa zehn Millionen Tonnen Gips verbaut, in Krisen etwas weniger, in einem Boom mehr. Grob gerechnet brauche es aber für sechs Millionen Tonnen Gips Ersatz, die aus den Kohlekraftwerke gekommen sind.
Er falle dort seit den 1980er-Jahren an. Damals seien die Kohlekraftwerke in der alten Bundesrepublik mit den Rauchgas-Entschwefelungs-Anlagen, kurz: REA, ausgerüstet worden, nach der Wende 1990 dann auch im 0sten. Der saure Regen, der das Waldsterben verursachte, sollte damit eingedämmt werden. Den entscheidende Ausgangsstoff fürs Gipsrecycling könne nun nur der Sektor liefern, der den Ersatz für den REA-Gips besonders brauche: der Baussektor mit seinem Bauschutt.
In Häusern sind viele Gipskartonplatten verbaut, als Trennwände, Raumteiler. Sie bestehen aus einem Gipskern, umgeben von zwei Kartons. Werden die Gebäude abgerissen, müssen diese entsorgt werden. Steckdosen, Kabel, Tapeten – alles wird abgelöst. Kommen sie bei Bunzel und seinen Kollegen an, wird der Karton vom Gips getrennt und der Gips zerkleinert, sodass aus Alt wieder Neu werden kann. Das hört sich alles einfach an. Noch ist das allerdings selten. Das meiste landet noch immer auf Deponien. Das ist bislang billiger, als die Baustoffe zu recyceln.
Skandinavien recycelt viel mehr Gips
Skandinavien, Belgien, die Niederlande, alle ohne große Gipsvorkommen, regeln das anders. Dort seien die Gebühren fürs Deponieren höher, erklärt das Umweltbundesamt, deshalb rechne sich Recycling eher. Doch es geht nicht nur um Geld. „Es gibt gar nicht so viel zu recycelndes Material, allenfalls kommen laut offiziellen Schätzungen ab 2030 jedes Jahr 1,3 Millionen Tonnen Gipsabfall zusammen“, sagt Bunzel. So kämen am Ende vielleicht gut zehn Prozent des Gipses, der in Deutschland gebraucht werde, aus dem Recycling.
Also doch im Südharz bohren? CDU, SPD und FDP in Sachsen-Anhalt haben sich in ihrem Koalitionsvertrag dafür ausgesprochen, dass die „Gips-Lagerstätten in Sachsen-Anhalt gesichert sowie deren umweltverträgliche Gewinnung ermöglicht werden“. Hans-Jörg Kersten, der die Umweltabteilung des Bundesverbandes der Gipsindustrie leitet, sagt: „Gips ist ein Baustoff, der viel weniger Energie bei der Herstellung benötigt als etwa Zement oder Kalk.“ Und: Wird der Abbau in Deutschland verhindert, werde Spanien profitieren, der weltgrößte Exporteur.
Kai Niebert, Nachhaltigkeitsforscher und Präsident des Deutschen Natruschutzrings, fordert hingegen ein Umdenken: „Deutschland konsumiert mehr Gips als jedes andere europäische Land. Die deutsche Wirtschaft muss innovationsfreundlicher werden, stärker in Kreisläufen denken, also Stoffe mehrfach verwenden und dabei auch neue Materialien verwenden. Die alten Gipskartonwände lassen sich mittlerweile gut durch nachwachsende Rohstoffe ersetzen.“ Längst gebe es Firmen, die zum Beispiel Wände aus Strohfasern herstellten. Stroh sei gut verfügbar, sorge für ein angenehmes Raumklima, und in hochverdichteter Form sei es auch feuerfest.