Musterklage gegen Wirecard startet

von Redaktion

Markus Braun, Ex-Wirecard-Chef © Frank Hoermann, IMAGO

Angeklagt: Der Wirtschaftsprüfer EY. © ARNULF HETTRICH , Imago

Als Wirecard 2020 in Insolvenz ging, fehlten 1,9 Milliarden Euro Treuhandguthaben. Jetzt wollen sich Anleger zurückholen, was noch zu holen ist. © Christian Offenberg, IMAGO (Archiv)

München – Es soll das größte Zivilverfahren in der Rechtsgeschichte Deutschlands werden. Am Freitag startet in München eine Anlegerklage zur juristischen Aufarbeitung des Wirecard-Skandals. Mit Bankkaufmann Kurt Ebert zieht dabei ein Ex-Aktionär stellvertretend für zehntausende Mitgeschädigte vor das bayerische Oberste Landesgericht. Basis ist das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG), um Schadenersatz zu erstreiten.

„Unser Hauptaugenmerk liegt auf EY“, sagt Klägeranwalt Peter Mattil zum Fokus der Regressforderung. Die Stuttgarter EY ist der Wirtschaftsprüfer, der jahrelang Wirecard-Jahresabschlüsse durchgewunken hatte. Als der Konzern 2020 in Insolvenz ging, fehlten 1,9 Milliarden Euro Treuhandguthaben.

Im Muster-Verfahren beklagt sind neben EY und einzelnen Prüfern auch der frühere Wirecard-Chef Markus Braun und andere Ex-Manager. Musterkläger Ebert macht rund eine halbe Million Euro Schaden geltend, erklärt Mattil. Aber rund 8500 weitere Klagen mit 750 Millionen Euro Schadensumme sind wegen des Muster-Verfahrens lediglich zurückgestellt. Bei Wirecard-Insolvenzverwalter Michael Jaffé haben sich zudem insgesamt 51500 Ex-Aktionäre gemeldet, die von Verantwortlichen rund 8,5 Milliarden Euro wiederhaben wollen.

Klar ist: Wie auch immer die Musterklage am Ende ausgehen wird, sind auch bei allen Beklagten zusammen nicht nur ansatzweise die geforderten Milliardensummen zu holen. Am meisten könnte bei einer Verurteilung aber wohl EY mit geschätzt einer dreistelligen Millionensumme zahlen, kalkuliert die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK). Das sieht auch Mattil so, weshalb er und Mandant Ebert vor allem auf die Wirtschaftsprüfer zielen.

Aber EY hat vorgesorgt und sich gerade umorganisiert. Bis Sommer war der deutsche Ableger der in London residierenden und global tätigen EY das Dach für die vier Beratungsfelder Strategie, Steuern und Recht, Consulting und Wirtschaftsprüfung, was im Geschäftsjahr 2022/23 rund 2,6 Milliarden Euro Umsatz ergab. Jetzt sind die Geschäfte separiert, was für Schadenersatzansprüche große Folgen hat, beklagen SdK und auch Mattil.

„EY Deutschland ist dabei, sich zu entreichern und vermögensmäßig auszuhöhlen“, kritisiert der Klägeranwalt. Mit dem Ausgliedern von drei Vierteln des Geschäftsbetriebs würden drei Viertel der Umsätze abgespalten. Die Abschlussprüfung sei zudem das am wenigsten lukrative der vier Geschäftsfelder, ergänzt die SdK. EY verringere die Haftungsmasse damit entscheidend. Die Wirtschaftsprüfer hätten erst die Tricksereien von Wirecard abgesegnet, jetzt ließen sie Gläubiger ins Leere laufen, moniert Mattil.

Die Stuttgarter sehen sich indessen zu Unrecht am Pranger sowohl hinsichtlich der gesellschaftsrechtlichen Umorganisation als auch der Schadenersatzforderungen an sich. Man habe bei Wirecard immer nach bestem Wissen und Gewissen geprüft, heißt es in Stuttgart. Zudem greife das Muster-Verfahren bei Testaten von Wirtschaftsprüfern gar nicht. Was eventuelle Haftungsmasse angeht, sei die von der Umorganisation größtenteils auch nicht betroffen.

Wichtig könnte dabei sein, wie lange der Prozess dauert. Denn hinsichtlich Haftungspflichten weisen Juristen auf eine per Gesetz fünfjährige Nachhaftung aller EY-Bestandteile trotz Umorganisation hin. Das klingt nach einer ausreichenden Spanne. Aber Muster-Verfahren können sich schier endlos dahinschleppen. Bei der Deutschen Telekom waren es zwei Jahrzehnte. Der damalige Musterkläger und sein Anwalt haben das Ende nicht mehr erlebt.

Mattil hofft, dass ein rechtskräftiges Urteil von Wirecard „nur“ zwei bis drei Jahre dauert. Das wäre rekordverdächtig. Bei der SdK ist man skeptischer und rechnet mit über fünf Jahren Prozessdauer, was jenseits der gesetzlichen EY-Nachhaftung läge.

Der parallel laufende Strafprozess gegen Braun und weitere Ex-Manager, die auch im Muster-Verfahren beklagt sind, geht bald ins dritte Jahr, ohne dass ein Ende in Sicht wäre. EY sitzt dort nicht auf der Anlagebank. Zeugen haben im Strafprozess aber ein für die Prüfer sehr fragwürdiges Bild gezeichnet.

Die staatliche Wirtschaftsprüferaufsicht Apas hatte schon im Frühjahr 2023 geurteilt, man sehe seitens EY „Berufspflichtverletzungen als erwiesen an“. Geldstrafen und ein zweijähriges Verbot für Neumandate waren die Folge. Das deutet darauf, dass es für EY auch im Muster-Verfahren am Ende sehr unangenehm werden könnte. Falls der Prozess nicht zu lange dauert.

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