Innovationskraft scheitert an Regulierung

von Redaktion

Studie belegt: Europa ist führend in Forschung – die Produkte auf den Markt bringen andere

Der Flugtaxi-Pionier Lilium ist Experten zufolge auch an einem nicht funktionierenden Kapitalmarkt gescheitert. © lilium

München – Impfstoffe, mRNA-Forschung, Künstliche Intelligenz oder auch die Fortschritte in der Lasertechnologie – viele Erfindungen sind in der Hochschulforschung entstanden. Eine vom Europäischen Patentamt (EPA) herausgegebene Studie belegt nun die entscheidende Rolle der Universitäten für Innovationen in Europa. Spitzenreiter bei der Zahl akademischer Patente ist Deutschland, gefolgt von Frankreich und Großbritannien. Fast jede vierte europäische Patentanmeldung entstammt einer deutschen Hochschule. In Deutschland selbst machen die akademischen Patente sechs Prozent aus. Die TU München (TUM) ist für die höchste Zahl verantwortlich, gefolgt von der Universität Erlangen-Nürnberg und der Freien Universität Berlin.

Die Studie zeigt neben der steigenden europäischen Innovationskraft die Problematik, einen einheitlichen Markt für Forschung und Technologie in Europa zu schaffen. Der zerstreute Markt mache es schwer, Forschung in wirtschaftlichen Erfolg umzusetzen, so Patentamt-Präsident António Campinos. „Die Studie zeigt: Wir haben einen akademischen Erfindungsreichtum in Europa“, sagt er. „Aber wir brauchen eine politische Strategie für die Umsetzung.“

In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Zahl der akademischen Patentanmeldungen für Erfindungen zugenommen. Sie machen heute 10,2 Prozent aller Patente aus.Ökonom Ilja Rudyk hat die Studie verfasst. „Forschungseinrichtungen leisten einen höheren Beitrag zur Innovation“, sagt er. Aber es gibt ein Problem: „Europa ist führend in der Forschung, aber die Produkte auf den Markt bringen andere.“

Zehn Prozent der Start-ups mit europäischen akademischen Patenten haben ihren Hauptsitz in den USA. Damit Europa wettbewerbsfähig bleibt, müssten die Forschungsergebnisse auf den Markt. Nicht durch amerikanische oder chinesische Unternehmen, sondern auch durch europäische. Nur so könne Europa von den Forschungsergebnissen wirtschaftlich profitieren. Universitäten trügen mehr Verantwortung, Erfindungen durch Patente zu stützen und sie zu kommerzialisieren.

Bei der TU München steht das Unternehmertum als dritte Säule neben Forschung und Lehre. Die Firmengründung gehört zur Ausbildung. „Jeder Student, der zu uns kommt, soll sich einmal überlegen, was er mit dem, was er macht, erreichen kann“, sagt Philipp Gerbert, der das TUM Gründerlabor mit zwölf Themenschwerpunkten leitet. Etwa drei Milliarden Euro laufen jährlich in die Start-ups der TUM, finanziert von Wagniskapitalgebern. Von den 550 Unternehmungen gründen sich 75 im Jahr aus. Das Ziel: Möglichst alle Erfindungen kommen auf den Markt. Es gibt zwei Wege, wie aus einem Patent etwas werden kann: Man kann es einem bestehenden Unternehmen zur Verfügung stellen oder man kann es als Basis für eine Neugründung machen.

Aktuell stärkt die TUM den KI-Bereich. Bei Klimatechnologien kooperiert sie mit weltweit führenden Universitäten MIT und Standord. Insbesondere im Gesundheitssektor sei die Diskrepanz zwischen Forschungsstärke und Gründungen aber noch zu hoch. „Für junge Unternehmen ist es schwer zu wachsen, weil Europa keinen funktionierenden Kapitalmarkt hat“, sagt Gerbert. „Es gibt eine große Lücke, wenn Unternehmen produktreif sind, aber noch nicht kapitalmarktreif.“ Das bayerische Lufttaxi-Start-up Lilium etwa sei daran gescheitert. In der späteren Wachstumsphase von Start-ups bleibe Europa im Rückstand. Anders als in den USA investieren in Europa Pensionsfonds kaum in Wagniskapital.

Der Londoner Risikokapitalgeber Atomico schätzt, die Wahrscheinlichkeit, Finanzierungen jenseits von 15 Millionen Dollar zu erhalten, sei für amerikanische Start-ups doppelt so hoch wie für europäische. Für Philipp Gerbert gibt es zwei Lösungswege: Wie in den USA müssten sich private Firmen und der Staat als Kunde trauen, in junge Unternehmen zu investieren. „Wir haben das Problem erkannt und wachen auf“, sagt er. Im September hat die Regierung eine Initiative für Wachstums- und Innovationskapital für Deutschland unterzeichnet. Die teilnehmenden Unternehmen werden bis 2030 rund 12 Milliarden Euro in junge innovative Unternehmen investieren.

Weiter soll die Initiative Rahmenbedingungen in Deutschland so verbessern, dass junge innovative Unternehmen leichter an privates Kapital kommen. Aber ein weiteres großes Problem geht darüber hinaus. In Europa sei die Regulierung uneinheitlich, sagt Rudyk. Bei einem Pharma-Start-up-Wettbewerb hätten sich die europäischen Start-ups mit Regulierung beschäftigt, während sich die globalen Start-ups mit den Krankheiten beschäftigt hätten. „Wir brauchen weniger und intelligente Regulierung“, sagt Rudyk. „Die EU gibt Rahmenrichtlinien vor, die einzelnen Mitgliedsländer unterschiedlich umsetzen können und das bringt uns um.“
CARINA OTTILLINGER