Vorzeigeprojekt der Bahn droht das Aus

von Redaktion

Eine neue Neckarbrücke ist Teil des Projekts Stuttgart 21. Sie führt über in den Rosensteintunnel.

Eine unterirdische Kathedrale: Markante kelchförmige Stützen sind das Kennzeichen des unterirdischen Bahnhofs „Stuttgart 21“. Hier ein Bild von der Baustelle. © IMAGO/Arnulf Hettrich (2)

München/Stuttgart – Einem der ehrgeizigsten Bahnprojekte droht das stille Aus. Seit Monaten bemüht sich das Land Baden-Württemberg, Gelder für den „Digitalen Knoten Stuttgart“ freizubekommen. Der DKS 3 ist ein Vorzeigeprojekt, der zusammen mit dem neuen Bahnhof „Stuttgart 21“ kommen sollte. Später sollten weitere Bahnknoten digitalisiert werden – auch München. Auch das verschiebt sich immer weiter nach hinten. Allenfalls für die bestehende Stammstrecke der S-Bahn könne es 2032 klappen, sagen Insider. Ursprünglich war von 2030 die Rede.

„Stuttgart 21“ steht nach mehrmaliger Verzögerung vor dem Abschluss. Stand heute soll ab 2025 der Testbetrieb anlaufen, Ende 2026 dann die reguläre Inbetriebnahme. Und dann sollte auch die Digitalisierung erfolgen. Ist Stuttgart 21 voll digitalisiert, könnte alle fünf Minuten vom Knoten Stuttgart ein ICE abfahren. 500 Kilometer Schiene sollen digital gemanagt und 450 Züge mit digitaler Technik ausgestattet werden. So der Plan. Nun jedoch heißt es in der Branche, die dafür notwendigen Gelder würden für die Sanierung von Hochleistungsstrecken benötigt. 825 Millionen Euro liegen auf Eis, die DB-Konzernspitze hat einen sogenannte Gremienvorbehalt eingelegt. Trotz vieler Proteste ist sie nicht bereit, das Thema auf die Tagesordnung der nächsten DB-Aufsichtsratssitzung am 18. Dezember zu setzen – was notwendig wäre, um die Gelder freizubekommen.

Der Verkehrsminister von Baden-Württemberg, Winfried Hermann (Grüne), spricht das in einem Brandbrief an Bundesverkehrsminister Volker Wissing vom vergangenen Freitag offen aus. „Die gegenwärtigen Entwicklungen erwecken bei uns den Eindruck“, so Hermann zusammen mit dem Chef des Stuttgarter Regionsverbands, Rainer Wieland, „dass der Vorstand der DB AG versucht, die für den DKS 3 reservierten Bundeshaushaltsmittel gegen den erklärten Willen des Bundes auf die Sanierung des Bestandsnetzes umzulenken.“ Damit werde „die wichtige Zukunftsinvestition“ DKS „in ,Geiselhaft‘ genommen“. Das Schreiben liegt unserer Redaktion vor. An Wissing appellieren Hermann und Wieland, „auf den Vorstand der DB AG einzuwirken, sodass der Gremienvorbehalt rasch aufgehoben werden kann“. Die Zeit dränge, denn die reservierten 825 Millionen Euro drohen, so steht es in dem Schreiben, Ende des Jahres zu verfallen. In einem weiteren Schreiben ebenfalls am vergangenen Freitag an DB-Vorstände machen Hermann und Wieland ihrem Ärger Luft. Man sei „fassungslos“ über die Verweigerungshaltung der DB, da doch der digitale Knoten schon „durchfinanziert“ sei und die Bahn nur einen Eigenanteil von maximal 375 Millionen Euro tragen müsse. „Die Nicht-Aufhebung des Gremienvorbehalts erweckt bei uns den Eindruck, dass der Vorstand der DB AG den Bund erpressen will.“

Die digitale Schiene ist eigentlich ein Renommierprojekt der Bahn. Unter Federführung des japanischen Tech-Riesen Hitachi Rail sollte der Digitale Knoten Stuttgart „neue Maßstäbe im Eisenbahnverkehr“ setzen, wirbt die Bahn im Netz. „Schritt für Schritt werden rund 500 Netzkilometer, darunter das gesamte heutige S-Bahn-Netz sowie die neue Infrastruktur von Stuttgart 21, mit digitalen Stellwerken, dem europäischen Zugbeeinflussungssystem ETCS, hochautomatisiertem Fahren mit Triebfahrzeugführer:innen (ATO GoA 2) und weiteren Techniken umgebaut.“

Brandbriefe auch von Wüst und Kretschmann

Der Brandbrief von Hermann und Wieland ist nicht der erste. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) warnte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in einem Schreiben vom 24. September davor, dass die Bahn „dem Vernehmen nach weniger in die Digitalisierung investieren“ wolle, „um mehr Geld für die Sanierung der Haupttrassen zu haben“. Wüst fürchtet um die Digitalisierung des Bahnknotens Köln. Auch der CDU-Verkehrsexperte im Bundestag, Michael Donth, protestierte Mitte November schriftlich bei der DB-Spitze. Schon im Juni hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) in einem Brief an Scholz versucht, Druck zu erzeugen. „Experten zufolge ist das Potenzial der Effizienz- und Kapazitätsgewinne in einem komplexen Bahnknoten ungleich höher als auf freier Strecke“, schrieb Kretschmann. „Darum sind die Erfahrungen aus diesem Projekt bundesweit und insbesondere für die weiteren Projekte in den Knoten Hamburg, Frankfurt und München von herausragender Bedeutung.“ Wie man hört, bekam er bis heute nicht einmal eine Antwort.

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