Berlin – Hat das Bundeswirtschaftsministerium einen möglichen Weiterbetrieb der letzten deutschen Kernkraftwerke 2022 ergebnisoffen geprüft? Das soll derzeit ein Untersuchungsausschuss in Berlin klären. Am Donnerstag hatten dort zwei prominente Kraftwerksbetreiber ausgesagt, wie die „Welt“ berichtet. Das Überraschende: Sie widersprachen sich deutlich.
So hatte der RWE-Chef Markus Krebber im Frühjahr 2022 schriftlich gegen einen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke über 2022 hinaus votiert. „Grundsätzlich galt und gilt: Technisch ist fast alles machbar“, so Krebber. Seiner Einschätzung nach wären die Hürden aber sehr hoch und der Nutzen sehr gering gewesen. Diese Einschätzung bestätigte er dem Bundeswirtschaftsministerium zwei Tage nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine per Mail.
Der damalige Staatssekretär Patrick Graichen leitete diese Mail laut „Welt“ als „Betreiberpapier“ weiter. Es hätte den Eindruck vermittelt, dass alle Betreiber Krebbers Einschätzung teilen. Dem widersprach Guido Knott am Donnerstag deutlich. Er leitet die Eon-Tochter Preussenelektra, der unter anderem das AKW Isar II gehört. „Die Abwägungsentscheidung ist aus meiner Sicht politisch motiviert und sie war erwartbar“, sagt Knott. „Unerwartet ist, dass es technische Falschbehauptungen gab oder es am Unwillen der Betreiber gelegen haben soll.“ Die „technischen Fehlbehauptungen“ kritisierte auch ein Prüfer des TÜV-Süd: Der Aufwand für die Beschaffung neuer Brennstäbe und die nötigen Sicherheitskontrollen sei von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck deutlich überbetont worden. Ob die Prüfung ergebnisoffen war? „Ich persönlich hatte nicht den Eindruck, dass es so war.“ Guido Knott gab indes an, er habe das Papier von RWE-Chef Krebber im Frühjahr 2022 gelesen und ihm explizit nicht zugestimmt.
Damit widersprach er aber auch seinem eigenen Chef, Leo Birnbaum, dem obersten Manager des Eon-Konzerns. Dieser hatte nach Kriegsbeginn mehrfach mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) konferiert. Am 5. März 2022 hatten er und die anderen Betreiber in einer Telefonkonferenz mit Habeck einen Streckbetrieb, also einen Weiterbetrieb der AKW bis ins Jahr 2023, mit den alten Brennstäben ausgeschlossen. Die Betreiber, hier sind sie sich einig, wollten eine vertragliche Absicherung der Kosten für einen Weiterbetrieb.
Schlussendlich wurde der Streckbetrieb doch angeordnet. Zum Grund dafür decken sich die Aussagen von RWE-Chef Krebber mit denen von Robert Habeck: Im Frühsommer 2022 sei die Lage deutlich kritischer geworden. Russland begann, seine Gaslieferungen nach Europa einzustellen. Zudem wurde klar, dass die französische Atomflotte wegen technischer Probleme länger als erwartet ausfallen würde. 2022/23 war in Frankreich teilweise nur die Hälfte der französischen AKW am Netz, Deutschland musste Strom liefern. Die deutschen Kernkraftwerke wiederhochfahren will indes keiner der Betreiber mehr: „Ein nochmaliges Wiederanfahren wäre vielleicht theoretisch noch möglich, aber es fehlen Lieferanten, es fehlen Ressourcen und es gibt erhebliche regulative und rechtliche Hürden“, so Guido Knott, „Wir stehen als Unternehmen für den Weiterbetrieb nicht mehr zur Verfügung, das ist für uns keine Option mehr.“
MAS