MAN-Chef Alexander Vlaskamp baut gemeinsam mit dem Energiekonzern Eon ein Ladenetz für E-Lkw auf. Seitens der Politik passiert laut Vlaskamp viel zu wenig. © Kerstin Kokoska
VW, Audi, Ford, Bosch: Die Autobauer und ihre Zulieferer haben mächtige Probleme. Die Elektromobilität läuft gerade durch das Tal der Tränen, die Zinsen sind hoch, und die Käufer halten sich völlig verunsichert durch das politische Hin und Her und endlose Debatten über Verbrenner-Aus ganz generell mit dem Autokauf zurück. Die Nutzfahrzeughersteller haben ganz ähnliche Probleme, sagt Alexander Vlaskamp vor dem Autogipfel mit Marcus Söder am Montag in München. Der MAN-Chef fordert deshalb im Interview, das seine Branche einen Teil der Einnahmen aus der Lkw-Maut zurückbekommt.
Herr Vlaskamp, die Autoindustrie steckt voll in der Krise, von den Nutzfahrzeugherstellern hört man dagegen wenig. Wie ist die Lage bei Ihnen?
Nicht gut. Wir fühlen uns ein bisschen wie die Melkkuh der Nation.
Weshalb?
Wir investieren Milliarden in den Hochlauf der E-Mobilität, bauen Batteriezentren, forschen an Antrieben, haben seit 2021 elektrische Stadtbusse im Einsatz und jetzt auch E-Lkw im Markt. Gleichzeitig wird die Förderung für E-Lkw gestrichen und die Lkw-Maut verdoppelt, sodass die Transportfirmen kein Geld für neue Fahrzeuge haben. Dennoch sollen wir künftig hohe Strafen zahlen, wenn wir die EU-Flottenziele nicht erreichen, weil wir zu wenige Elektrofahrzeuge auf die Straße bringen. Das passt doch nicht zusammen. Dazu kommt die aktuelle Wirtschaftskrise, unter der wir stark leiden. Mit so einer Politik schafft man die Industrie in Europa ab.
Viele Politiker wollen der Industrie unter die Arme greifen. Was würde der Nutzfahrzeugbranche aus Ihrer Sicht helfen?
Drei Dinge: Förderung der E-Fahrzeuge, bessere Lade-Infrastruktur und weniger Strafen. Die Lkw-Maut wurde im Dezember 2023 erhöht. Wir haben uns zusammen mit anderen Herstellern und Logistikverbänden schon damals dafür eingesetzt, dass die Hälfte der sieben Milliarden Euro Mehreinnahmen durch die Maut in die Förderung von E-Lkw und den Ausbau der Ladeinfrastruktur geht.
Wurde das in der Politik diskutiert?
Vereinzelt – aber nicht nachhaltig. Stattdessen wurde die Förderung für E-Lkw kurz nach der Einführung der Maut zusammen mit jener für E-Autos im Januar quasi über Nacht gestrichen. Das hat nur kaum jemand in der Öffentlichkeit wahrgenommen, weil sich alle über den Förderstopp bei den Autos aufgeregt haben.
Das Geld aus der Maut fließt vor allem in die Bahn. Für die Umwelt ist es besser, wenn mehr Güter auf der Schiene transportiert werden. Finden Sie die Entscheidung trotzdem falsch?
Ich will gar nicht Schiene gegen Straße ausspielen, bei den immer weiter steigenden Frachtraten brauchen wir in jedem Fall einen kombinierten Verkehr mit Lkw und Bahn. Aber bis sich die Investitionen bei der Bahn auf die Co2-Bilanz auswirken, dauert es viele Jahre – zumal die Bahn schon in großen Teilen elektrifiziert ist. Beim Truck geht das mehr oder weniger sofort. Wir wollen auch nur, dass die Hälfte der Mauteinnahmen über den Ladensäulenausbau und Förderungen zu uns zurückkommt in die Branche.
Braucht es denn zwingend eine Förderung?
Das müssen nicht unbedingt Geldzahlungen sein, auch bessere Abschreibungsregeln, wenn Transportfirmen in Elektrofahrzeuge investieren, sind möglich. Das belastet den Haushalt weniger. Über solche Dinge sollte die neue Bundesregierung nachdenken. Der Punkt ist nur: das muss alles langfristig und verlässlich sein.
Die Anhebung der Lkw-Maut durch eine CO2-Komponente war doch als Unterstützung für die E-Mobilität gedacht. Das sollte Transportfirmen dazu bringen, auf neure, effizientere und elektrische Fahrzeuge umzusteigen – E-Trucks sind von der Maut befreit.
Der Grundgedanke der Maut ist richtig, und wir befürworten, dass Dieselfahrzeuge aus Gründen des Umwelt- und Klimaschutzes höher besteuert werden. Viele unserer Kunden fordern auch einen nachhaltigen Transport. Im Moment belastet die Maut sie aber so stark, dass sie weniger investieren und sich kaum neue Fahrzeuge kaufen können. Sie bewirkt also das Gegenteil.
Wirklich?
Rechnen wir mal: Wenn man 10 000 Kilometer im Monat fährt und je nach Lkw zwischen 13 und 16 Cent mehr Maut zahlen muss, kommt man schnell auf etwa 15 000 bis 20 000 Euro Mehrkosten pro Fahrzeug und Jahr. In der aktuellen Wirtschaftslage bleibt da kaum Spielraum mehr für Investitionen in neue Lkw. Und die Pointe ist, dass auch die Mautbefreiung für E-Lkw nur befristet gilt. Ab Ende 2025 sollen E-Trucks 25 Prozent der Lkw-Maut zahlen und was danach kommt, weiß noch niemand. So kann doch kein Spediteur planen. Die fehlende Planungssicherheit spüren wir. Wir hatten schon 2500 Zusagen für unseren E-Truck, wovon aber ein Teil zuletzt wieder storniert wurde. Daher ist es unbedingt notwendig, dass die Mautbefreiung für E-Trucks auch über 2025 hinaus bestehen bleibt.
Was ist mit dem Emissionshandel im Verkehr, der Dieselfahrzeuge verteuern soll?
Der startet erst 2027, unsere E-Modelle sind aber jetzt schon da.
Spielen Umweltaspekte für die Spediteure denn keine Rolle?
Doch, sicher. Aber anders als beim Autokauf, wo viele den Umstieg auf die E-Mobilität erst mit einem Zweitwagen probieren und vielleicht auch höhere Kosten und Umwege oder längere Stopps für das Laden in Kauf nehmen, zählen im Transportbereich zwei Dinge: Ein neuer E-Lkw muss sich rechnen. Und das Laden auf der Strecke muss problemlos funktionieren.
Gibt es dafür genug öffentliche Ladeinfrastruktur?
Der Aufbau der Ladeinfrastruktur ist ein Trauerspiel. Es gibt im Moment vielleicht 15 bis 20 reine Lkw-Ladesäulen in Deutschland – und die meisten sind wohl auf den Werksgeländen von MAN und Daimler. Wir gehen in dem Bereich voran, haben mit Daimler Truck und Volvo Truck eine halbe Milliarde für 1700 Ladesäulen investiert und elektrifizieren mit Eon unsere Service-Standorte, die dann als Ladestationen für Fahrer aller Lkw-Marken offen sind. Aber die Politik macht ihre Hausaufgaben beim Aufbau öffentlicher Säulen einfach nicht schnell genug.
Was plant das Verkehrsministerium?
Das hat gerade erst die Bedarfe geprüft und eine Ausschreibung für die ersten 130 Ladepunkte entlang der Autobahn beendet. Die sind alle an unbewirtschafteten Rastplätzen, auf denen Fahrer in ihren Pausen nichts zu essen oder zu trinken kaufen können und es manchmal nicht einmal eine Toilette gibt. Ich vermute, die Säulen stehen frühestens 2027, weil die Planverfahren bisher sehr lange dauern. Bis dahin drohen uns riesige Strafzahlungen, wenn wir nicht genug E-Fahrzeuge verkauft haben.
Wie hoch könnten die Strafzahlungen ausfallen?
Pro Lkw sind sie die Zahlungen etwa 25-mal so hoch wie bei einem Pkw – ein Wahnsinn. Nämlich 4250 Euro je Gramm CO2 zu viel. Ab 2025 müssen wir unsere Flottenemissionen um 15 Prozent senken, ab 2030 um 45 Prozent. Jedes Prozent, um das wir die Flottenziele verfehlen, wird uns ab 2025 eine zweistellige und ab 2030 eine dreistellige Millionensumme kosten. Das können wir uns in der derzeitigen Wirtschaftskrise nicht leisten.
Wie hart trifft Sie die Krise?
Mit Bauwirtschaft und Industrie stecken zwei Branchen in einem tiefen Loch, die sehr viele Waren auf der Straße transportieren. Hinzu kommt, dass durch die Krise auch der Warentransport in anderen Bereichen einbricht. Der politische Kurs ist im Moment ebenfalls unklar. Deshalb halten die meisten Spediteure und Transportfirmen ihr Geld zusammen und warten erst einmal ab. Das schlägt sich in einem drastischen Rückgang der Bestellungen nieder.
Wie reagieren Sie darauf?
Wir haben die Leiharbeit bereits zurückgefahren, Stundenkonten abgebaut, Schichten reduziert und sind seit Sommer an den deutschen Standorten wie hier in München in Kurzarbeit. Das wird vermutlich auch noch einige Zeit so bleiben.
Sind bei MAN auch Stellenabbau und Werksschließungen wie bei ZF, Bosch oder Ihrem Mutterkonzern VW ein Thema?
Momentan nicht, wir haben unsere Restrukturierung erst kürzlich erfolgreich abgeschlossen. Das war eine echte Rosskur. Wir haben zwei Standorte geschlossen und, allein in Deutschland seit 2020 über 3000 Stellen gestrichen sowie Strukturen verschlankt. Das war schmerzhaft, aber unausweichlich. Der Erfolg gibt uns Recht, das Unternehmen ist jetzt wirtschaftlich wieder deutlich robuster. Und wir hatten eben erst begonnen, die Ernte einzufahren. Die Umsatzrenditen waren so hoch wie seit 15 Jahren nicht mehr und 2023 haben wir mehr als eine Milliarde Euro Gewinn gemacht. Wir waren auf einem guten Kurs – wirtschaftlich und bei der E-Mobilität. Da sich die Lage nun aber zuspitzt, reichen schon jetzt Instrumente wie Kurzarbeit nicht mehr aus, um den Schaden in Grenzen zu halten. 2025 wird in dieser Hinsicht ein besonders herausforderndes Jahr.
Die Probleme der Autobauer und Ihres Mutterkonzerns VW haben in der Politik ziemliche Wellen geschlagen. Haben Sie das Gefühl, dass Politiker sich genug für die Lage der Nutzfahrzeughersteller interessieren?
In Bayern ja, im Bund nicht. Ich habe den Eindruck, dass unsere Anstrengungen viel zu wenig geschätzt werden. Stattdessen werden wir mit Strafzahlungen und mit der Lkw-Maut gemolken und gemolken. Das ist nicht fair: Wir haben geliefert und Milliarden investiert. Die E-Modelle sind da. Was fehlt sind die Rahmenbedingungen. Und die muss die Politik setzen.