Wie gefährlich ist die Dunkelflaute?

von Redaktion

Die Windkraft fiel Ende vergangener Woche fast vollständig aus. © Mikhail Kokhanchikov/Imago

München – Kaum Wind, kaum Sonne – und die Preise explodieren. So geschehen vergangenen Donnerstag: „Wir hatten – wie es im Winter normal ist – kaum Sonne. Dazu hatten wir über Tage hinweg eine Windkraftleistung von rund einem Gigawatt (GW) – normal ist das Zehnfache“, erklärt Tobias Federico von Montel Analytics. Die Folge: „Wenn das unter der Woche passiert und es einigermaßen kalt ist, reichen unsere regulären Kraftwerke nicht aus und wir müssen importieren.“ Die Gefahr eines Blackouts habe nicht bestanden, dennoch habe das System aus dem letzten Loch gepfiffen: „Wir hatten noch sechs bis sieben Gigawatt Winterreserve. Die werden aber nur bei einem längeren Windausfall von einer Woche aktiviert“, so Federico. „Vergangene Woche war aber absehbar, dass wieder Wind ins System kommt.“

Denn seit dem Wochenende kann Deutschland seinen Bedarf wieder entspannt selbst decken und exportiert sogar. Es bleibt ein medialer Aufschrei über hohe Energiepreise und die Frage, wie es weitergeht. „In der Spitze wurden am kurzfristigen Spotmarkt 936 Euro für eine Megawattstunde bezahlt“, erklärt Montel-Fachmann Federico. „Damit haben wir unter anderem Importe aus Schweden bezahlt.“ Aus Schweden kamen dafür wütende Protestnoten, weil die deutschen Importe auch die Preise in Südschweden hoben. Ein Kritikpunkt der Skandinavier: Der vorgezogene deutsche Atomausstieg, den die CDU eingeleitet und die Ampel-Koalition vollendet hat.

Tatsächlich gilt: Besser haben als brauchen. „Wird der Strom knapp, steigt die Preiskurve sehr stark nach oben. Wenig Leistung hat dann also viel Auswirkung“, so Federico. Zwar sei es fraglich, wie viel Hilfe die AKW geliefert hätten, weil sie normalerweise am Terminmarkt bieten, nicht kurzfristig. „Nehmen wir aber an, wir hätten ein GW zusätzlicher Leistung gehabt“, so Federico, „egal ob Kern- oder Windkraft, dann hätten wir am Donnerstag wahrscheinlich statt 936 Euro 750 bezahlt.“ Hätte eine Windböe drei zusätzliche GW ins System gepustet, „wären wir schon bei 250 Euro gewesen.“ Oder aber bei drei GW weniger Leistung bei 2000 Euro – mehr als doppelt so viel wie vergangene Woche. Zum Vergleich: Deutschland unterhält rund 65 GW regelbarer Leistung aus Gas- und Kohlekraftwerken, die letzten drei AKW konnten rund vier GW liefern.

Obwohl die Lage dramatisch war, braucht sie eine Einordnung: Die Spitzenpreise wurden nur für einzelne Stunden bezahlt, mehrheitlich abends. Der Durchschnittspreis für das kommende Jahr, womit etwa die Preise für Privathaushalte kalkuliert werden, liegt bei rund 90 Euro die Megawattstunde, einem Zehntel des Rekordpreises und das schon seit Anfang September.

In der Hochphase der Energiekrise kostete Strom für das kommende Jahr dagegen 350 Euro – obwohl die einzelnen Stundenpreise nie das Niveau von vergangenem Donnerstag erreichten. Federico: „In unseren Simulationen erwarten wir für 2040 im Mittel ein ähnliches Preisniveau wie heute – durch den höheren Anteil von Windkraft und Photovoltaik – allerdings mit deutlich höheren Schwankungen in beide Richtungen. Der Wert von Flexibilität steigt.“

Genau diese wurde aber jahrelang vernachlässigt. Was Stromspeicher und Flexibilitäten angeht, steht Deutschland quasi nackt da. Das ist schlecht: Denn hohe Volatitität heißt auch extrem niedrige Preise. Bis dato werden diese Überschüsse aber oft eher verkauft – etwa nach Schweden –, als in Deutschland gespeichert zu werden. Die Bundesrepublik hat kaum Großbatteriespeicher, die extreme Spitzen glätten. Erst seit 2023 gibt es Anschlussbegehren, dafür zuhauf: Über 160 GW wollen Projektierer derzeit ans Netz bringen. Ohne Subventionen.

Die Batteriespeicherleistung, die es gibt – rund 11 GW – ist aus Netzsicht kaum abrufbar. Denn sie stehen meist als PV-Speicher in den Kellern der Bürger. Diese bräuchten aber, um auf den Strommarkt zu reagieren, einen intelligenten Stromzähler, einen Smart Meter. Doch kein ganzes Prozent der Haushalte hat einen solchen. Deutschland ist hier europäisches Schlusslicht, die meisten Nachbarländer sind nahe der 100 Prozent Abdeckung. Erst ab Januar sind die Netzbetreiber zum Einbau verpflichtet. Und auch das Gros der Biogasanlagen läuft am Band durch, statt das teuer subventionierte Gas für Flauten aufzuheben.

Die Entwicklung all dieser Flexibilitäten hätte politische Weichenstellungen gebraucht: Die Merkel-Administrationen hatten aber – auch auf Druck der Industrie – lieber auf Gaskraftwerke gesetzt.

Reagieren könnte heute etwa die energieintensive Industrie. Doch auch hier gibt es anachronistische Beschränkungen: Rund 400 energieintensive Betriebe bekommen die Netzentgelte fast vollständig erlassen, wenn sie über 8000 Stunden im Jahr gleichmäßig Strom verbrauchen. Das bedeutet: Will ein Betrieb dieses Privileg nicht für das ganze Jahr verlieren, darf er, sofern er seine flexiblen Stunden ausgeschöpft hat, auch bei den Preisspitzen der vergangenen Woche nicht herunterregeln. Die Bundesnetzagentur arbeitet derzeit an einer Reform.

Was bleibt für die Zukunft? „Batteriespeicher können Spitzen innerhalb eines Tages glätten, für längere Flauten bräuchten wir die Wasserstoffkraftwerke“, so Federico. Die werden so bald nicht kommen: Robert Habeck hat für seine Kraftwerksstrategie keine Mehrheit bekommen, ohne sie gibt es keine Investoren. Federico: „Unter diesen Umständen müssen wir uns fragen, ob wir unsere Kohlekraftwerke wirklich 2030 abschalten wollen.“ Spätestens die Bundesnetzagentur würde hier ein Veto einlegen.

Allerdings wird auch hier der steigende CO2-Preis der EU den Betrieb zunehmend teuer machen. „Irgendwann wird sich auch die recht teure CO2-Abscheidung lohnen.“ Damit wäre die Versorgung erst mal sicher, der erzeugte Strom aber weit weg von günstig. Dieses Problem wird (global) bleiben: Bislang ist keine Technologie auf dem Markt, die regelbaren Strom günstig und klimafreundlich produzieren kann. Damit bleiben Stromspeicher und Lastverschiebungen erst mal die erfolgversprechendsten Preissenker.

Artikel 4 von 9