Die Krankenkassenbeiträge dürften weiter steigen. Die Grünen wollen deshalb die Beitragsgrundlage verbreitern. © dpa
Berlin – Aktienanleger sollen nach einem Vorstoß von Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck für die Sozialversicherung in Deutschland herangezogen werden. Ihre Einkünfte aus Kapitalerträgen sollen künftig auch der Finanzierung etwa der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) dienen. Habeck sagte, ihm leuchte nicht ein, dass Arbeit höher belastet werde als Einkommen aus Kapitalanlagen. „Und deswegen schlagen wir vor, dass wir auch diese Einkommensquellen (…) sozialversicherungspflichtig machen.“ Wenn auf diese Weise die Beitragsgrundlage der gesetzlichen Krankenversicherung verbreitert werde, wäre dies „ein Schritt zu mehr Solidarität innerhalb des Systems“, betonte er.
Derzeit zahlen Anleger 25 Prozent Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge. Inklusive Soli und Kirchensteuer sind es in Bayern 27,8 Prozent. Der Grundbeitrag für die Krankenversicherung liegt aktuell bei 14,6 Prozent, für die Pflegeversicherung werden bei Kinderlosen weitere 4,2 Prozent fällig. Die Hälfte davon zahlen Arbeitnehmer, die andere Hälfte Arbeitgeber. Zu den Sozialabgaben zählen allerdings auch die Rentenversicherung (18,6 Prozent) und die Arbeitslosenversicherung (2,6 Prozent). Würden Kapitalerträge mit den jeweiligen Arbeitnehmeranteilen von Kranken- und Pflegeversicherung belastet, würde der Fiskus etwa 37 Prozent der Gewinne behalten, bei allen Sozialabgaben wäre es fast die Hälfte.
Entsprechend groß war die Kritik der anderen Parteien auf den Vorstoß. CSU-Chef Markus Söder schimpfte, die Grünen „wollen an das Sparguthaben der Menschen und ihrer Erträge ran“. FDP-Generalsekretär Marco Buschmann rechnete vor, dieser „große Habeck-Klau“ könne sogar für kleine Sparraten sechsstellige Minderungen ihrer Erträge bedeuten. Und FDP-Chef Christian Lindner warnte vor einem „Abkassieren der Mittelschicht in Deutschland“. Verhalten zeigten sich auch die Krankenkassen. „Die Frage, welche Einkunftsarten für die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung, die immerhin 90 Prozent der Bevölkerung versichert und versorgt, herangezogen werden, erfordert eine gesellschaftspolitische Antwort“, sagte der GKV-Spitzenverband.
Habeck bleibt Details schuldig
Auch aus der Wissenschaft kam Kritik. „Sozialabgaben sind darauf angelegt, eine Gegenleistung zu erhalten, etwa eine Rente, Arbeitslosengeld oder Krankenversicherung“, sagte Professor Wolfgang Schön, Direktor des Max-Planck-Instituts für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen. „Das passt gut zu Löhnen und Gehältern, aber nicht gut zu Kapitalerträgen.“ Technisch umsetzbar sei das Vorhaben jedoch ohne Probleme, bestätigte Florian Neumeier, Leiter der Forschungsgruppe Steuer- und Finanzpolitik des Münchner ifo-Instituts. „Die Sozialabgaben könnten gleichzeitig mit der Kapitalertragssteuer automatisch an den Fiskus abgeführt werden.“ Grundsätzlich müssten die Abgaben auch von Großanlegern und nicht nur von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gezahlt werden. „Das könnte tatsächlich zu einer Entlastung der Sozialsysteme führen.“
Dennoch sieht auch Neumeier das Vorhaben skeptisch. Er verwies darauf, dass ausgerechnet die Abgaben für Großanleger gedeckelt wären, wenn die Betragsbemessungsgrenzen beibehalten würden. Auf Einkommen über 66 150 Euro pro Jahr fallen momentan gar keine Krankenkassenbeiträge an. „Der Plan würde so die Mittelschicht überproportional treffen, die etwa für den Ruhestand Geld in ETF-Sparpläne einzahlt“, so Neumeier. „Durch Sozialabgaben auf Kapitalerträge würde der Anreiz außerdem deutlich verringert, dass die Bürger am Kapitalmarkt privat für das Alter vorsorgen“, befürchtet der Forscher.
Die Grünen können sich dagegen offenbar hohe Freibeträge vorstellen. „Für normale Sparer wird sich gar nichts ändern“, versicherte Grünen-Wahlkampfleiter Andreas Audretsch. „Wer aber seinen Lebensunterhalt hauptsächlich aus Zinsen oder Dividenden bestreitet, sollte auch einen Beitrag leisten, sodass die Krankenversicherung für alle bezahlbar bleibt“, erklärte er.
MIT MATERIAL VON DPA UND AFP