vbw-Chef Brossardt: „Arbeit muss sich wieder lohnen“

von Redaktion

Antrag auf Bürgergeld. Bayerns Arbeitgeberverband denkt über Alternativen nach. © Heike Lyding/epd

München – Als das Bürgergeld am 1. Januar 2023 in Kraft trat, war die Freude groß – vor allem bei der SPD. Die Reform war ihr sozialpolitisches Prestigeprojekt. Doch nach nicht einmal zwei Jahren ist die Euphorie verebbt, von allen Seiten hagelt es Kritik. Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) hat dazu eine Studie in Auftrag gegeben, die unserer Zeitung vorliegt. Der Titel „Neuausrichtung des Bürgergelds“ lässt keinen Spielraum für Interpretation – der Wirtschaftsverband fordert eine komplette Neugestaltung. „Die künftige Bundesregierung muss eine mutige Strukturreform vorantreiben, die alle Teile der steuerfinanzierten sozialen Sicherung in den Blick nimmt“, erklärt vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt.

Denn das jetzige Modell setze Fehlanreize, halte von der Arbeit ab, heißt es von der vbw. Doch die nötigen Stellschrauben einer Reform sind demnach nicht allein beim Bürgergeld, sondern vielmehr beim sogenannten zweigeteilten System der Grundsicherung.

Erwerbstätige können nämlich nicht nur Bürgergeld beantragen, sondern dürfen auch „für ihre Existenzsicherung eine Kombination aus Kindergeld, Kinderzuschlag und Wohngeld beziehen“, heißt es in der Studie. Und diese Leistungen sind vorrangig – also müssen beantragt werden, wenn dadurch der Bezug von Bürgergeld vermieden werden kann. Der Knackpunkt: Die beiden Systeme sind nicht passend aufeinander abgestimmt.

So haben Berechnungen der Studie ergeben, dass Arbeitsanreize mit steigendem Einkommen in Gegenden mit hohen Mieten stark abnehmen. Ein Münchner Ehepaar mit Kindern und einem Bruttoarbeitslohn von 4000 Euro wird dabei beispielhaft unter die Lupe genommen. Durch die zweigeteilte Grundsicherung und die damit verbundenen Leistungen wie Wohngeld und Kindergrundsicherung, würde „eine Lohnerhöhung um zehn Prozent das verfügbare Haushaltseinkommen nicht erhöhen“, heißt es in der Studie. Dafür könne der Alleinverdiener 25 Prozent weniger arbeiten bei einem nahezu gleichbleibenden Haushaltseinkommen. So „ergeben sich Brüche, die die Aufnahme einer Beschäftigung oder die Ausweitung des Arbeitsvolumens unattraktiv machen“, sagt Brossardt.

Deswegen schlägt die vbw drei Auswege vor. Entweder das zweite Grundsicherungssystem – also Wohngeld und Kinderzuschlag – ganz streichen und ein einheitliches System schaffen. Oder das Bürgergeld auf den täglichen Bedarf Erwachsener beschränken und Kinderzuschlag und Wohngeld reformieren. Das dritte Modell ist ein Kompromiss und sieht eine eigenständige Kindergrundsicherung vor. „Unter dem Strich muss sich Arbeit wieder lohnen“, sagt Brossardt. „Dabei muss das Prinzip ,Fördern und Fordern‘ konsequent gestärkt werden.“

Die Union, die in Umfragen stärkste Partei, hat bereits angekündigt, das Bürgergeld wieder abschaffen zu wollen und eine „neue Grundsicherung“ zu etablieren. Das dürfte die Koalitionsverhandlungen mit der SPD, die an ihrem Bürgergeld festhält, noch schwieriger machen.
L. HUDELMAIER

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