Siemens-Chef Roland Busch (Bildmitte) hielt gestern seine vorerst letzte Hauptversammlung im Online-Format und ohne Live-Publikum ab. Im kommenden Jahr muss er sich den Aktionären wieder in Präsenz stellen. © Siemens
München – Siemens-Chef Roland Busch hatte auf der Hauptversammlung einen Gast geladen: Carlos Rodriguez Ahlert, Mitarbeiter von Siemens Mobility in Krefeld. Er zeigte anhand einer Simulation, wie in Zügen der Sparte Mobility das Material auf Luft-Widerstand reagiert, etwa bei der Einfahrt des Zuges in einen Tunnel. Bei einer Lebensdauer des Zuges von über 30 Jahren passiere das „Millionen mal“, sagte Ahlert – daher wird der Effekt am Computer simuliert. „Genau da hilft uns Altair“, sagte Ahlert.
Altair, das muss man wissen, ist eine Softwarefirma aus den USA. Im Herbst hatte Siemens angekündigt, Altair für umgerechnet 9,2 Milliarden Euro zu kaufen – der nächste Baustein von Buschs Vision, Siemens zum industriellen Digitalkonzern umzubauen. „Siemens hat heute ein weltweit führendes Portfolio – das umfassendste Portfolio – für KI-gestärkte, industrielle Software“, sagte Busch gestern den Aktionären. Zum Beleg ließ er eine Videobotschaft von Nvidia-Chef Jensen Huang einspielen, einem der Superstars der KI-Wirtschaft. Huang sagte: „Wenn ich an die Zukunft von Siemens denke, dann bin ich einfach unglaublich begeistert. Siemens sitzt auf einer Goldmine.“
Die Aktionäre, die sich gestern auf der Hauptversammlung äußerten, stehen grundsätzlich hinter Buschs Digital-Kurs. „Die Akquisition von Altair bringt einen großen strategischen Mehrwert“, sagte Ingo Speich von Deka Investments. Der Kauf sei zwar teuer, aber strategisch sinnvoll. Daniela Bergdolt von den Aktionärsschützern DSW schränkte ein, Busch müsse den „hohen Preis“ auch rechtfertigen. Vera Diehl von Union Investment wollte wissen, welchen konkreten Wertbeitrag der Zukauf bringen soll, und kritisierte, dass die Frage erst auf dem Kapitalmarkttag Ende des Jahres beantwortet werden solle.
Noch sei Siemens aber „kein Hort der Glückseligkeit“, betonte Deka-Manager Speich. Die Gewinnqualität müsse gesteigert werden, Siemens müsse kontinuierlich in der Quartalsberichterstattung liefern. „Das ist letztes Jahr nicht vollumfänglich gelungen.“ Der Anteil an der Tochter Healthineers müsse reduziert werden und die Beteiligung an Siemens Energy komplett abgebaut werden. Auch Vera Diehl von Union Investment forderte ein Ende des „Konglomerats“ und eine Fokussierung auf die profitabelsten Geschäftsfelder Digital Industries und Smart Infrastructure. Daniela Bergdolt fragte bezogen auf die Zugsparte Mobility: „Passen Züge wirklich zu Siemens?“
Noch hält Busch an der Struktur fest. In seiner Ansprache hatte er auf das jüngste Allzeit-Hoch der Siemens-Aktie verwiesen sowie auf den Rekordgewinn von neun Milliarden Euro im Geschäftsjahr 2024, das Ende September endete. Die Aktionäre werden mit einer Dividende von 5,20 Euro pro Aktie am Gewinn beteiligt – 50 Cent mehr als im Vorjahr.
Kritik äußerten Aktionäre am Online-Format der Hauptversammlung. So sagte DSW-Vertreterin Bergdolt an die Adresse des Siemens-Chef: „Ich kann nicht verstehen, warum Sie sich hinter einem Bildschirm, nein, in einem Bildschirm, verstecken.“ Künftig ist das nicht mehr möglich: Der Vorschlag von Vorstand und Aufsichtsrat, die Aktionärstreffen 2026 und 2027 virtuell abzuhalten, bekam gestern nicht die nötige Dreiviertel-Mehrheit. Damit findet die Hauptversammlung 2026 in der Münchner Olympiahalle statt. Das hatte es zuletzt vor Ausbruch der Corona-Pandemie vor fünf Jahren gegeben.