Kommt es an den Börsen zu einem Rücksetzer? Denkbar ist das, warnen Ökonomen und Experten. Das Bild zeigt die Börse in New York. © IMAGO
München/Frankfurt – Am Anfang sah noch alles gut aus: Gestern Vormittag setzte der Dax seinen Rekordlauf fort, in den ersten Handelsminuten übersprang der deutsche Leitindex die 22 900 Punkte und näherte sich damit weiter der 23 000-Punkte-Marke. Am Nachmittag ging es wieder abwärts. Zuvor hatte EZB-Direktorin Isabel Schnabel ein mögliches Ende der jüngsten Serie von Zinssenkungen der Notenbank in Aussicht gestellt. „Wir nähern uns dem Punkt, an dem wir möglicherweise bei den Zinssenkungen pausieren oder stoppen müssen“, sagte Schnabel der „Financial Times“.
Eine Delle im jüngsten Aufwärtstrend, denn in der Tendenz kannte der deutsche Leit-index in den vergangenen Wochen nur eine Richtung: Aufwärts. Endet jetzt die Rally oder geht es an den Börsen weiter aufwärts? „Die Warnungen vor fallenden Kursen werden lauter, doch die Anleger warten weiterhin vergeblich auf einen Kursrücksetzer im Dax, der einfach nicht kommen will“, schrieb Analyst Jochen Stanzl vom Broker CMC Markets am Mittwochmorgen. „Es scheint, als benötige der Markt erst ein generelles Umdenken.“
Die Risiken sind da: Ab 1. April drohen hohe Zölle für die Einfuhr von Autos in die USA. Am Dienstagabend hatte US-Präsident Donald Trump gesagt, Zölle auf Auto-Importe sollen „in der Nähe von 25 Prozent liegen“. Derzeit gilt für Autos aus der EU ein Zollsatz von 2,5 Prozent. Zu weiteren Zöllen, etwa für Pharma-Produkte, fügte Trump hinzu: „Es werden 25 Prozent und mehr sein, und es wird im Laufe eines Jahres noch deutlich höher werden.“
Die Börsen blieben unbeeindruckt. „Nicht nur das Risiko von Zöllen wird aktuell von den Märkten nicht wahrgenommen, genauso auch die Tatsache, dass die langfristigen Renditen wieder deutlich gestiegen sind“, sagte Jürgen Michels, Chefvolkswirt der BayernLB. „Die Märkte sehen nur die guten Nachrichten, beispielsweise erwarten sie deutlich höhere Militärausgaben, wovon Rüstungsaktien profitieren.“ Es bestehe das Risiko, dass es zu einem „größeren Rücksetzer“ komme.
Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, sagte: „Von Trump geht eine riesige Unsicherheit für den Welthandel aus.“ An den Märkten hofften aber viele, dass Trump am Ende klein beigebe. „Darauf spekuliert der Markt – und das macht den Markt auch anfällig.“ Denn Krämer rechnet mit Zöllen „auf breiter Front“.
Dass von den Risiken an den Börsen derzeit wenig zu spüren ist, erklärt sich Krämer so: „Die amerikanische Wirtschaft wächst stark, die Unternehmen verdienen gut und steigern ihre Gewinne um mehr als zehn Prozent.“ Dennoch könne sich der Wind an den Börsen drehen: „Zwar glaube ich nicht, dass es einen Crash gibt, aber dass es an den Börsen zwischenzeitlich deutlich abwärts geht, ist durchaus möglich“, warnte Krämer. „Die Börse ist keine Einbahnstraße, die Aktienkurse können nicht auf Dauer so schnell steigen wie in den letzten Monaten“, warnte Krämer. Das gehöre zur Börse dazu. „Kleinanleger sollten jetzt etwas vorsichtiger werden und die Risiken stärker in den Fokus nehmen“, sagte der Commerzbank-Ökonom.
Robert Halver, Kapitalmarkt-experte von der Baader Bank sagte: „In einem Aufwärtstrend gibt es immer auch Rücksetzer, und ich wäre mittlerweile sogar froh, wenn es einen Rücksetzer gäbe, damit sich der Markt mal wieder etwas beruhigt.“ Halver geht überraschenderweise aber nicht davon aus, dass US-Zölle den deutschen Unternehmen langfristig schaden werden. Anders als Krämer rechnet Halver auch nicht damit, dass die Zölle in der von Trump angekündigten Härte kommen. „Aber selbst wenn es so kommt: Dann werden noch mehr Unternehmen nach Amerika gehen, um die Zölle zu umgehen.“ Am Ende stünden sie sogar besser da: „Denn in den USA sind die Steuern niedriger und die Energie ist günstiger – die Unternehmen könnten von Standortverlagerungen in die USA profitieren, was hohe Aktienkurse rechtfertigt“, sagte Halver.
Für Kleinanleger hat er angesichts der unsicheren Gemengelage noch einen Tipp: „Das Wichtigste ist, dass man jeden Monat kleine Beträge in den Aktienmarkt investiert, etwa über einen ETF oder einen Fonds.“ Gehe es nach unten, könne man für den gleichen Geldbetrag mehr Aktien kaufen. „Es klingt banal, aber Sparpläne sind das wichtigste Finanzinstrument überhaupt, um langfristig mit am Aktienmarkt ohne großes Risiko dabei zu sein.“
MIT DPA UND AFP