Teleshopping für Gen Z

von Redaktion

Tiktok will einen reibungslosen Übergang von hochpersonalisierter Werbung zum Kauf schaffen. Forscher befürchten Überkonsum. © IMAGO/Kniel Synnatzschke

München – Die chinesische Kurzvideo-App Tiktok ist unter jungen Menschen wahnsinnig erfolgreich: Allein in Deutschland nutzen sie über 24 Millionen Menschen. Das Potenzial soll zunehmend ökonomisch genutzt werden: Seit gestern können Nutzer Waren, die im Video gezeigt werden, direkt in der App kaufen.

Bislang ist die Funktion schon in Ostasien, Großbritannien, Spanien und den USA verfügbar. Hartwin Maas vom Augsburger Institut für Generationenforschung hat sich das Phänomen in den Staaten angeschaut: „37 Prozent der Amerikaner unter 60 haben im Tiktok-Shop etwas gekauft“, so Maas. Pro Kunde sind es statistisch zwölf Einkäufe im Jahr, jeweils zu 59 Dollar. Dabei geht es vor allem um Alltagsluxus: Accessoires, Haushaltsartikel, Mode, Kosmetik und Technologieartikel.

Besonders in der Generation Z, also den Jahrgängen zwischen 1996 und 2009, hat Tiktok eine hohe Relevanz: In den USA nutzen 95 Prozent dieser Kohorte die App, 61 Prozent sogar täglich. Das Marktpotenzial ist also riesig.

Das Prinzip Social Media als Werbeplattform ist längst ein Milliardengeschäft. Vereinfacht gesagt: Die Protagonisten der Videos, Influencer genannt, preisen – mehr oder minder auffällig – bestimmte Produkte an und werden dafür entlohnt. Das erinnert an das klassische Teleshopping, funktioniert aber viel besser: Denn Nutzer schauen die Videos wegen ihrer nicht-kommerziellen Inhalte. Die Produkte werden meist beiläufig und organisch eingebaut. Das erhöht die Glaubwürdigkeit der Werbebotschaft enorm.

Auf traditionellen Plattformen wie Instagram ergibt sich aus Händlersicht aber ein Problem: Interessierte Nutzer müssen die App schließen und einen Händler suchen, das ist eine große Hürde. Die überwindet der Tiktok-Shop: „So nahtlos war der Weg zum Kaufabschluss noch nie. Die Benutzerfreundlichkeit von Tiktok-Shop ist kaum zu übertreffen“, so Zukunftsforscher Maas. Aber: Das sei ganz und gar nicht positiv.

„Schon heute geben Menschen zwischen 18 und 39 jedes Jahr 260 Euro für Fehlkäufe aus“, so der Forscher. Er befürchtet, dass die Tendenz durch den Tiktok-Shop befeuert wird: „Oft werden in den Videos limitierte Stückzahlen oder dass etwas nur für kurze Zeit verfügbar sei, dargestellt. Das löst bei den Konsumenten aus, dass sie eben das haben möchten, was man vermeintlich nicht haben kann.“ Es sei die Online-Variante des Prinzips Wühltisch.

Kritisch sieht Maas die hohe Reizdichte. „Bei der unglaublichen Schnelligkeit und Häufigkeit von Botschaften fällt es insbesondere der jungen Generation schwer, innezuhalten und zu reflektieren, was man wirklich braucht.“ Denn bei Tiktok schaut man Videos mit nur wenigen Sekunden Laufzeit, davon aber theoretisch unendlich viele: „Je kürzer und öfter wir mit einer Marke oder Produkt konfrontiert werden, desto positiver stehen wir dem gegenüber.“ Dieses psychologische Prinzip sei schon Ende der 60er-Jahre beschrieben worden. Die Funktionsweise von Tiktok eignet sich also perfekt für Werbebotschaften. Maas fürchtet durch die Shop-Funktion Überkonsum, der die Umwelt und die Finanzen des Einzelnen unnötig strapaziere.

Chinesische Technologieanbieter stehen wegen der – oft aggressiven und subventionierten – Expansionspolitik der Regierung in Peking häufig in der Kritik. In Sachen Tiktok-Shop sind die Meinungen gespalten: So meint etwa Gerrit Heinemann, der Shop sei „eine weitere Stufe chinesischer Wirtschaftskriegsführung“ mit dem Ziel, den europäischen Markt mit Schrottpreisen zu fluten und von China abhängig zu machen, so Heinemann gegenüber der „FAZ“.

Der Unternehmensberater Björn Ognibeni sieht es anders: „Das ist kein Wirtschaftskrieg, sondern Marktwirtschaft“, so Ognibeni in der „FAZ“. „Angesichts der Monopolstellung von Amazon ist jede weitere Konkurrenz im Onlineshopping erst mal grundsätzlich zu begrüßen.“

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