15 Jahre im Vorstand, zehn Jahre im Aufsichtsrat: Norbert Reithofer hat BMW geprägt – und BMW wohl auch ihn (hier auf dem Autosalon in Paris). © imago
Norbert Reithofer mit Ehefrau Angelika bei einer Hamlet-Premiere auf den Münchner Opernfestspielen (2023), bei der Automesse in Frankfurt und beim Interview mit unserer Zeitung (beides im Jahr 2013). © Gisela Schober, getty images, dpa, marcus schlaf
München – Allein die Zahl der Jahre, die er in Führungspositionen stand, macht Norbert Reithofer zu einer Ausnahmeerscheinung unter deutschen Managern. Sechs Jahre war er als Vorstand für die Produktion des BMW-Konzerns verantwortlich, neun Jahre führte er ihn als Vorstandsvorsitzender, um dann für weitere zehn Jahre an die Spitze des Aufsichtsrats zu wechseln. Das sind 25 Jahre. Nur Eberhard von Kuenheim (1970 bis 1999) und Franz Josef Popp (1917 bis 1942) standen bei BMW ähnlich lange an der Spitze.
Die Dauer allein wäre noch kein Grund, von einer Ära zu sprechen. Doch so lange könnte man das Vertrauen der bei BMW bestimmenden Großaktionärsfamilie Quandt kaum erhalten, wenn man nicht Außerordentliches geleistet hätte. Mit der heutigen Hauptversammlung zieht sich der bald 69-Jährige von der Spitze des Kontrollgremiums zurück.
Frontantrieb und kleinere Motoren: Früher ein Unding
Es ist nicht ganz einfach, die Richtungsentscheidungen aufzuzählen, die er oft gegen große Bedenken einleitete. Ein BMW mit Frontantrieb war lange ein Ding der Unmöglichkeit. Doch Reithofer setzte durch, dass die kleineren Modellreihen sich diese Architektur mit dem Mini teilten, die dadurch erst auf wirtschaftliche vertretbare Stückzahlen kamen. Keiner beschwert sich heute darüber.
Unter seiner Regie wurden – vorher undenkbar – die Motoren verkleinert: Drei statt vier Zylinder in den kleineren Einstiegsmodellen und vier statt sechs bei vielen der leistungsstärkeren Motorisierungen. Motoren, die sparsamer waren, aber dank Aufladung nicht mit Leistung geizen. „Aus Freude am Sparen“ scherzten Spaßvögel. „Efficient Dynamics“, betitelte BMW die von Reithofer angestoßene Neuerung,
Der Penzberger startete als Produktionschef
BMW als Vorreiter bei der Verbrauchssenkung. Gleichzeitig sportlich und sparsam unterwegs, geht das überhaupt? Der scheinbare Widerspruch ist aber keiner: Wenn auf dem Weg vom Motor zu den Rädern möglichst wenig Energie als Reibungshitze verloren geht, erhöht das Fahrleistung und mindert den Verbrauch.
Er entschied sich auch für den Ausstieg aus der Formel I., die zwar immer noch populär war, ökologisch aber fragwürdig und mit Autos für den Alltagsgebrauch aber immer weniger zu tun hatte.
BMW unter Führung von Norbert Reithofer war eine Erfolgsgeschichte – aber keineswegs eine vorgegebene. Als der gebürtige Penzberger als Verantwortlicher für Produktion in den Vorstand berufen wurde, steckte das Unternehmen nach dem Rover-Debakel in einer der tiefsten Krisen seiner Geschichte. Die Marke BMW war zwar gut aufgestellt. Doch in Sachen Produktion war immer noch Toyota das Maß der Dinge. Das hat sich gedreht. Dass BMW heute durch eine beispiellose Flexibilität in den Werken die Fertigung schneller als andere an Schwankungen der Nachfrage anpassen kann, ist nicht allein, aber doch in großen Teilen Reithofers Verdienst. Heute ist BMW Vorbild für viele.
Einige Arbeiter kennt er nach Jahren noch mit Namen
Er führte das Unternehmen durch die Weltfinanzkrise nach dem Zusammenbruch der US-Großbank Lehman Brothers. Der Münchner Konzern war mit nur leichten Blessuren schneller wieder auf die Erfolgsspur zurück, als Experten prognostiziert hatten.
Erfolgreicher Manager, das ist nur die eine Seite. Wenn man mit Norbert Reithofer ins Gespräch kommt, schimmert auch eine andere durch. Da zeigt sich kein Überflieger, sondern einer, der sehr gewissenhaft abwägt. Und der Menschen zu schätzen weiß, mit denen er zu tun hat. Bei einem Besuch im Werk Spartanburg zum Beispiel, das der damalige Produktionsvorstand vorher geleitet hatte, fällt auf, dass er einige der Arbeiter im blauen Kittel noch nach Jahren mit Namen anspricht. Und er fühlt sich sichtbar wohl in ihrer Mitte.
BMW-Standorte fanden den Weg aus der Misere
Später erzählte er von der Standortsuche, die BMW eben nicht in den Rust Belt führte, sondern ins strukturschwache, vom Niedergang der Textilindustrie gebeutelte South Carolina. „Wir sahen uns vor allem auch das Lebensumfeld der Menschen an.“ Und BMW suchte erfolgreich, was man Jahrzehnte vorher in Dingolfing und später in Neutraubling gefunden hatte: Menschen, die engagiert aus der Misere ihrer Region herauswollten, für die sie nichts konnten. BMW hat das vorher abgehängte South Carolina ähnlich vorangebracht wie vorher Niederbayern und die Oberpfalz. Die Regionen identifizieren sich mit ihrem wichtigsten Arbeitgeber. Auch in den USA. Und das beruht auf Gegenseitigkeit: „Unsere zweite Heimat“, sagte Reithofer immer wieder.
Und dann gab es für ihn noch die dritte Heimat: Südafrika, wo Reithofer technischer Leiter des BMW-Werks Rosslyn war. Und wo er auch später noch regelmäßig Urlaube verbrachte. Dabei konnte es durchaus sein, dass man ihn mit Familie geduldig wartend am Security-Schalter traf, während weniger bedeutende Menschen den bequemen VIP-Service in Anspruch nahmen.
Letztlich ist Reithofers Bodenhaftung bei allen Höhenflügen vielleicht der Kern des anhaltenden Erfolgs. Er wirkt glaubhaft und wohl weniger verletzend als andere, wenn er unangenehme Botschaften überbringen musste, was eine Führungsrolle zwangsläufig mit sich bringt.
Der mörderische Stress, ständig geplagt vom Jetlag bei Flügen nach China und den USA hat ihm zunehmend zugesetzt, wie er sagte, als er seinen vorzeitigen Rückzug vom Vorstandsvorsitz erklärte. Die Großaktionäre taten gut daran, ihn nahtlos in den Aufsichtsrat wechseln zu lassen. Eine Aufgabe, die er mit außergewöhnlichem Engagement wahrnahm. Er hatte den Konzern weiterhin gut im Blick. Und hielt manche Fäden in der Hand, die es seinen Nachfolgern im operativen Geschäft sicher nicht immer leicht machten. Für das Unternehmen war das ein Glücksfall.
Bodenhaftung gilt als Kern seines Erfolgs
Nun zieht er sich ein Stück weiter zurück. Ein völliger Ausstieg wäre eine große Ausnahme. BMW schickt seine Führungskräfte zwar früher als andere in den Ruhestand. Der Konzern und seine Großaktionäre halten aber für einige noch bis ins hohe Alter Aufgaben bereit. Etwa an der Spitze von Stiftungen. Und dann gibt es noch das Obergeschoss in einem Gebäude im ersten BMW-Werk überhaupt. „Bayer. Motorenwerke“ steht über dem Eingang zu dem Bereich, der heute BMW Classic beherbergt. Dort sind Büros für Ex-Vorstände. Eher eine Ideenschmiede als ein Austragsstübchen – und BMW tut gut daran, den Rat von Norbert Reithofer auch künftig zu suchen.
MARTIN PREM