Bahn will IT-Experten kündigen

von Redaktion

Politik alarmiert: DB AG und DB InfraGo blockieren offenbar Digitalisierung wichtiger Strecken

Stuttgart 21 soll das digitale Pilotprojekt der Bahn werden. Dieses Ziel wackelt aber. © Markus Lenhardt/dpa

München/Stuttgart – Die Digitalisierung der Bahn werde „mit einem Schwerpunkt auf digitale Stellwerke und eine flächendeckende ETCS-Ausrüstung priorisiert“ – so steht es im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Doch nun droht ein wichtiges IT-Projekt zu scheitern. Die Bahn bremst beim Ausbau der Digitalisierung und will eine Technologie-Abteilung offenbar auflösen. Darauf spielt ein Brandbrief des baden-württembergischen Verkehrsministers Winfried Hermann (Grüne) an den neuen Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) an, der unserer Zeitung vorliegt.

Hintergrund: „Stuttgart 21“ umfasst auch die Ausrüstung der Zulaufstrecken mit dem Zugbeeinflussungssystem ETCS. Dann könnten die Züge in dichterer Abfolge in den neuen Bahnhof ein- und ausfahren. Das Projekt nennt sich Digitaler Schienenknoten. Klappt das in Stuttgart, soll der digitale Knoten auch nach München, Frankfurt, Köln und Hamburg ausgerollt werden. Stuttgart 21 soll Ende 2026 in Betrieb gehen, vorher wird es viele Einschränkungen geben. „Das Leiden an Stuttgart 21“ werde für die Fahrgäste noch einmal „sehr schmerzhaft sein“, warnte Verkehrsminister Hermann am Montag.

Um so schöner wäre es, wenn es danach eine digitale Hightech-Bahn gäbe. Genau dieses Projekt ist jetzt aber von Einsparungen betroffen. In Hermanns Schreiben vom 14. Mai ist von einer „äußerst kritischen Hängepartie“ die Rede. Er habe den Eindruck, dass der Vorstand der DB AG und auch der DB InfraGo das Projekt blockieren. Sorge bereite ihm zudem, dass „offensichtlich die Auflösung der Abteilung Digitales Bahnsystem geplant“ sei, „mit entsprechendem Personalabbau und Verlust von Expertise“. Bereits am 5. Juni soll darüber der Aufsichtsrat von DB InfraGo beschließen. In einem weiteren Schreiben zwei Tage vorher an Bahnchef Richard Lutz warnt Hermann, dass hier ausgerechnet die „wenigen, weltweit seltenen Expertinnen und Experten“ verloren gehen könnten. Alarmiert sind auch die Unionsabgeordneten Michael Donth und Thomas Bareiß, die bereits im April Aufsichtsratsboss Werner Gatzer warnten: „Auch die Entwicklung des vollautomatisierten, fahrerlosen Zugbetriebs GoA4 will die DB InfraGo (…) beenden, obwohl das fahrerlose Fahren gerade für hochbelastete S-Bahn-Stammstrecken eine zukunftsfähige Lösung darstellt.“ Tatsächlich haben Mitarbeiter der in Berlin ansässigen Abteilung I.ITL2 von DB InfraGo mit ihren sechs Untergruppen – darunter auch ITL 26 „hochautomatisches Fahren“ – kürzlich alarmierende E-Mails von ihren Vorgesetzten erhalten. Eine „technische Fokussierung“ bei der Leit- und Sicherungstechnik habe zum 1. August dieses Jahres „organisatorische und personelle Auswirkungen“, hieß es in einer dieser E-Mails, die unserer Zeitung ebenfalls vorliegen. Vorsorglich erhielten die Mitarbeiter – bis zu 80 Personen – Unterlagen, um an einer Sozialauswahl teilzunehmen.

Kündigungen scheinen also unausweichlich. „Mir ist bewusst, dass diese Phase der Umstrukturierung Unsicherheiten mit sich bringt“, deshalb wolle er „eine transparente Kommunikation“, schloss der Vorgesetzte. Offen ist, ob die Intervention beim neuen Verkehrsminister das noch stoppen kann.
DIRK WALTER

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