Die juristische Aufarbeitung des größten deutschen Industrieskandals ist beendet. Vier Volkswagen-Manager wurden verurteilt. Ob und wann das Verfahren gegen den einstigen Chef, Martin Winterkorn, fortgesetzt wird, steht noch nicht fest. © Julian Stratenschulte/dpa
Braunschweig – Vier Jahre und 175 Verhandlungstage hat es gedauert. Jetzt hat das Landgericht Braunschweig in einem ersten Strafverfahren zur Dieselaffäre bei VW vier ehemalige Führungskräfte wegen Betrugs verurteilt. Sie sehen sich als Bauernopfer. Die wohl wichtigste Person stand nicht vor Gericht: der ehemalige Konzernchef Martin Winterkorn. Sein Verfahren ist aus gesundheitlichen Gründen abgetrennt. Und auch Anleger müssen weiter warten, ob sie Entschädigung für Kursverluste bekommen.
Zwei der Ex-Manager müssen ins Gefängnis. Ein ehemaliger Leiter der Dieselmotoren-Entwicklung bekam viereinhalb Jahre. Der ehemalige Leiter der Antriebselektronik muss zwei Jahre und sieben Monate in Haft. Einen ehemaligen Abteilungsleiter verurteilte die Wirtschaftsstrafkammer zu einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung. Der ranghöchste Angeklagte, ein früherer Entwicklungsvorstand der Marke Volkswagen, erhielt ein Jahr und drei Monate auf Bewährung (Az 6 KLs 411 Js 49032/15 (23/19)). Ob das Verfahren wirklich beendet ist, bleibt offen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Was wusste Winterkorn?
Strafrechtlich ist der Dieselskandal weiter nicht vollständig aufgearbeitet. Allein in Braunschweig laufen noch vier Verfahren gegen insgesamt 31 Angeklagte. Bei bisher 56 Beschuldigten wurden Verfahren oder Ermittlungen gegen Geldauflagen eingestellt.
Und was wusste Martin Winterkorn, langjähriger Konzernchef mit Hang zu Detailfragen? Womöglich wird es nie eine öffentliche Antwort geben. Winterkorn hätte bei dem Prozess in Braunschweig ursprünglich mit auf der Anklagebank sitzen sollen. Das Landgericht trennte sein Verfahren aber bereits zum Auftakt 2021 ab. Der ehemalige Manager, heute 78 Jahre alt, ist nach einem Unfall gesundheitlich angeschlagen, der Prozess unterbrochen. Wann und ob es weitergeht, ist unklar. Bei den wenigen Auftritten als Angeklagter und, in einem anderen Prozess, als Zeuge wies er jede Verantwortung für den Dieselskandal von sich.
Der Konzern äußerte sich zurückhaltend: „Die Volkswagen AG ist nicht an dem Strafverfahren in Braunschweig beteiligt“, sagte ein Sprecher. „Aus Sicht der Volkswagen AG folgen aus dem beim Landgericht Braunschweig geführten Strafverfahren gegen Einzelpersonen keine nennenswerten Folgen für Rechtsstreitigkeiten vor Zivilgerichten zur sogenannten Dieselthematik, an denen die Volkswagen AG beteiligt ist.“ Zahlreiche Autobesitzer mit manipulierten Dieselmotoren versuchen, Geld von VW zu erstreiten.
Auch Anleger, die sich geschädigt sehen, müssen noch auf ein Urteil warten. Der Prozess läuft noch. Der Kurs der VW-Aktie war nach Bekanntwerden der Manipulationen abgestürzt. Eine der entscheidenden Fragen: Ab wann wusste Winterkorn von den Tricksereien? Schließlich hätte er die Aktionäre sofort darüber informieren müssen. Manch Anleger erhofft sich noch einen Ausgleich für seine Verluste. Das Geld müsste Volkswagen zahlen.
Im September 2015 hatten die US-Umweltbehörde EPA und die gemeinnützige Organisation ICCT öffentlich gemacht, dass Dieselfahrzeuge von VW auf dem Teststand zwar die gewünschten Grenzwerte für Stickoxide einhielten, im Straßenbetrieb dann aber um ein Vielfaches überschritten. In Motoren des Typs EA189 waren illegale Abschalteinrichtungen verbaut. Die Steuersoftware erkannte den Testbetrieb und stellte den Motor entsprechend ein. In der Folge kam heraus, dass offenbar bereits seit den frühen 2000er-Jahren beim VW-Konzern im Geheimen an den Tricks gearbeitet wurde. Im Strafprozess vor dem Landgericht Braunschweig ging es immer wieder darum, wer was wann wusste.
33 Milliarden Strafzahlungen
VW-Konzernchef Winterkorn trat wenige Tage nach Bekanntwerden der Tricksereien im September 2015 zurück. Weltweit waren elf Millionen Fahrzeuge von dem Skandal betroffen. In den USA musste VW mehr als 100 000 Autos zurücknehmen. Fotos von riesigen Parkplätzen voller VW-Fahrzeuge gingen um die Welt. Den Konzern kostete der Skandal bisher rund 33 Milliarden Euro. Betroffen waren die Konzernmarken Audi, Seat, Skoda und VW.
Von den Spitzenmanagern des VW-Konzerns ist bisher nur einer verurteilt: Rupert Stadler. Das Landgericht München II sah beim ehemaligen Chef der Tochter Audi Betrug durch Unterlassen als erwiesen an. Stadler ging auf einen Vorschlag des Gerichts ein und gestand. Im Gegenzug erhielt er ein Jahr und neun Monate Haft auf Bewährung und musste 1,1 Millionen Euro bezahlen.