Kurz Luft schnappen im Zollstreit

von Redaktion

Washington/Frankfurt – Noch am Freitag war der deutsche Leitindex Dax in die Knie gegangen, weil Donald Trump 50 Prozent Zölle auf EU-Waren angedroht hatte. Am Montag war die Stimmung aber schon wieder gut: Der US-Präsident war am Wochenende zurückgerudert, weshalb auch der Dax eine Kehrtwende hinlegte und wieder über die Marke von 24 000 Punkten kletterte. Zollkriege unter Handelspartnern und Kehrtwenden innerhalb weniger Tage? Mit Trump im Weißen Haus plötzlich Alltag.

EU will weitere Eskalation verhindern

Trump hält die Welt mit seinen erratischen Ausbrüchen in Atem. Vor allem Europas Politiker müssen immer auf neue Wendungen gefasst sein. So behauptete Trump am Freitag, er wolle gar keinen Deal mit Europa. Am Sonntag telefonierte er dennoch mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Danach teilte er mit, dass die 50-Prozent-Zölle statt am 1. Juni nun erst am 9. Juli kommen sollen. Am Montag gingen die Gespräche auf Ebene der Handelsminister weiter. Man bleibe dran und wolle ein Abkommen erzielen, versicherten die Europäer. Auch Deutschland fordert das. „Es bleiben noch sechs Wochen, eine Lösung zu finden“, sagte Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU). „Die Zeit muss jetzt intensiv genutzt werden. Unternehmen und Verbraucher auf beiden Seiten des Atlantiks sind auf gute Handelsbeziehungen angewiesen.“ Doch ob das beiden Seiten klar ist? Sicher ist das nicht.

Börse tanzt „nach Trumps Pfeife“

An den Börsen ist die Unsicherheit deshalb groß, wie der Angstindex genannte VDax zeigt, der die Nervosität am deutschen Aktienmarkt misst. Als Trump im April erstmals konkrete Zolldrohungen aus-sprach, ging er durch die Decke (siehe Grafik), sein amerikanisches Pendant, der VIX, ebenso. Seither hat sich die Lage etwas beruhigt, von der Entspanntheit früherer Tage ist man allerdings weit entfernt. Zu unberechenbar ist Trump, der am Freitag auch Apple mit 25 Prozent Strafzöllen drohte, sofern der US-Konzern die Fertigung von iPhones nicht komplett von Indien und China in die USA umleite – woraufhin die Apple-Aktie einbrach.

Die Börse tanze „nach Trumps Pfeife“, bringt es Jochen Stanzl vom Broker CMC Markets auf den Punkt. Die kommenden Wochen bis zum 9. Juli, an dem die US-Zölle in Kraft treten sollen, dürften also turbulent bleiben. Damit rechnen auch die Analysten. „Je näher ein Ultimatum rückt, desto größer die Wahrscheinlichkeit von neuen politischen Schlägen aus Washington“, schreibt die Börsenseite „Indexradar“. Hiobsbotschaften seien vor allem dann zu erwarten, wenn die Verhandlungen ins Stocken geraten. Ökonomen und Analysten rechnen bereits durch, welche Branchen von US-Zöllen am stärksten betroffen wären. Laut europäischen Statistikamt wären das in Europa der Autobau, der Maschinenbau und die Chemie, aber auch die Getränkeindustrie.

Finanzmärkte strafen Amerika bereits ab

Doch auch für die USA selbst dürfte der Konflikt sehr schmerzhaft werden – obwohl Trump behauptet, seine Zölle würden das Land in eine „goldene Ära“ führen. Eine goldene Ära erwarten Anleger in den USA derzeit nicht, eher im Gegenteil. Sie meiden US-Aktien seit Monaten, wie Zahlen von ETF-Anbietern zeigen. „Im laufenden Jahr bevorzugen ETF-Anleger den europäischen Aktienmarkt eindeutig gegenüber US-Aktien“, bestätigt Simon Klein von der Deutsche-Bank-Tochter Xtrackers. Es gebe kaum noch Neuanlagen in US-ETFs, dagegen fließt fast jeder dritte Euro in Europa-ETFs, auch deutsche Aktien seien wieder gefragt.

Das hinterlässt Spuren. So legte der deutsche Dax seit Jahresbeginn 20 Prozent zu, US-Aktien stagnierten dagegen. Außerdem brach der US-Dollar zum Euro um rund zehn Prozent ein. An den Finanzmärkten sei derzeit eben Vertrauen die wichtigste Währung, heißt es bei „Indexradar“. Und der Glauben in die Stabilität der USA schwinde, weshalb große Investoren ihr Kapital aus Amerika abziehen würden. Diese Abkehr geschehe nicht so schnell wie Trumps 180-Grad-Wendungen, sie sei aber nachhaltig. Sie erinnere „an die Kurskorrektur eines Supertankers: träge im Moment, aber langfristig wirksam.“

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