Junge Leute sollen bei Siemens Energy zum Lernen motiviert werden. © Siemens Energy
München – 1250 junge Menschen machen aktuell eine Ausbildung oder ein duales Studium bei Siemens Energy in Deutschland, der Energietechnikkonzern braucht etwa Industriemechaniker, Mechatroniker und Elektroniker. Wichtige Ausbildungsstandorte sind Berlin, Mülheim an der Ruhr, Hamburg, Görlitz und Paderborn.
Christoph Kunz aus München, verantwortlich für die Ausbildung bei Siemens Energy in Deutschland, sah sich vor einigen Jahren aber mit einer bitteren Erkenntnis konfrontiert: Viele Lehrlinge packen ihre Ausbildung nicht mehr. Und falls doch, nicht in der gewünschten Qualität. Keine guten Voraussetzungen für einen Dax-Konzern, der im weltweiten Geschäft mit Stromnetzen, Kraftwerkstechnik und Windrädern eine führende Rolle spielen will.
„Die jungen Menschen kommen aus dem Schulsystem, sind völlig verschult, haben wenig Bock zu lernen und sind durch die Schule völlig ausgebrannt“, sagt Kunz. „Wenn wir dann bei Siemens Energy sagen: ,Jetzt geht das Lernen erst richtig los‘, dann haben wir sie in diesem Moment komplett verloren.“ Bei der Generation Z, also den zwischen 1998 und 2010 geborenen Menschen, habe der „Kompetenzaufbau“ zunehmend versagt, sagt Kunz. „Unsere Ausbilder mussten Dinge zehnmal erklären, und trotzdem haben wir die Art unserer Ausbildung zunächst erst einmal weiter so gemacht wie immer.“ Aber irgendwann sah sich der Manager gezwungen, die Notbremse zu ziehen. Er lud Generationenforscher ein, Hirnforscher kamen zu Besuch, Ausbilder wurden geschult, sie sollten ein Verständnis für die Generation Z und die nachfolgende Generation Alpha entwickeln.
„Die Schwierigkeit lag nicht darin, ein neues Konzept zu entwickeln. Die Schwierigkeit lag darin, das Konzept innerhalb eines großen Konzerns umzusetzen“, erklärt Kunz. Zumal das Unternehmen geprägt ist von Umbrüchen: 2020 trennte sich der Münchner Siemens-Konzern von seiner Energietechnik-Sparte – seitdem ist Siemens Energy ein eigenständiges Unternehmen. „Die Trennung von der Siemens AG war für uns eine echte Zäsur“, erinnert sich Kunz. „Auf einmal waren wir wie eine kleine Kopie der Siemens-Ausbildung, das wollten wir aber nicht sein. Das hat uns motiviert, neue Wege zu gehen.“
Ein erstes Pilotprojekt startete vor gut eineinhalb Jahren, seit Herbst gilt das Konzept für alle Azubis. Zum Start nehmen sich die Ausbilder drei Wochen Zeit für die Jugendlichen, „Dream Teams“ werden geformt, Träume formuliert. Ein Team plant den Bau eines Kajaks, ein anderes will eine Reise organisieren, auch eigene Namen verleihen sich die Teams. Die Maschinenbauer nennen sich „Maschis“, es gibt „Produktdesigner-Bunnys“ und „Energy-Karnickel“. Für Außenstehende mag das schräg klingen, die Gruppen schaffen sich damit aber ihre eigene Identität im Konzern. „So etwas gab es früher nicht. Da gab es drei bis fünf Tage Auftaktwoche, da hat man frontal erklärt, wie die Ausbildung abläuft, und nach zwei Wochen ging‘s in die Berufsschule“, sagt Kunz. „Die Zeit, um emotional im Unternehmen anzukommen, war viel kürzer.“
Emotionaler soll auch die Arbeitsumgebung sein: Statt klassischer Schul- und Labor-Anordnungen gibt es jetzt Ecken, an denen die Auszubildenden Playstation spielen können, Ausbilder und Lehrling sagen „Du“ statt „Sie“ zueinander und der Nachwuchs wird zur Bearbeitung von Aufgaben auch mal ins Café geschickt. „Wir haben nicht nur an ein paar Stellschrauben gedreht, wir haben vom ersten bis zum letzten Ausbildungstag alles verändert“, sagt Kunz. Offenbar mit Erfolg: Die Abbrecherquote sei gesunken, laut interner Umfragen sei die Zufriedenheit der Auszubildenden gestiegen.
Und alles könnte noch einfacher sein, sofern Schulen und Wirtschaft besser verzahnt wären, sagt Kunz. „Aber das Schulsystem funktioniert noch immer wie vor 40 Jahren“, kritisiert der Manager. „Das ist bis heute ein Trimmen auf Noten – dabei schauen wir uns die Noten von den Bewerbern gar nicht mehr an. Eine Note ist für mich lediglich ein Indikator für eine gute Anpassungsfähigkeit, aber nicht für Intelligenz.“
Dass junge Menschen heute anders ticken, liegt laut Kunz auch an der Demografie. Die Zahl der jungen Menschen in Deutschland schrumpft. „Vor zehn Jahren waren die jungen Menschen froh, wenn sie einen Ausbildungsplatz hatten, heute bewerben wir uns bei den jungen Menschen.“ Die Haltung gegenüber Unternehmen sei eine andere. Auch seien es junge Menschen heute gewohnt, unterhalten zu werden – etwa durch Social Media oder die eigenen Eltern. Baue man Unterhaltungselemente in die Ausbildung ein, steige die Lernmotivation. Dass die Generation Z faul sei, hält Kunz für ein Märchen. „Die jungen Leute haben Lust auf Arbeit, sie beanspruchen einfach nur andere Rahmenbedingungen für sich“, sagt er. „Und wenn wir ihnen als Unternehmen diesen Rahmen bieten, klappt es auch mit der Ausbildung.“