Gaskraftwerke sollen die Stromversorgung absichern. Ob sie auch die Stromkosten senken, ist allerdings hoch umstritten. © Rudy Fessel/Imago
Berlin – Ist das ein Bruch oder nur ein neuer Akzent? Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) setzt sich von der Politik ihres Vorgängers Robert Habeck (Grüne) ab. So hat sie verkündet, mehr neue, fossile Gaskraftwerke bauen zu lassen als bisher geplant. Möglicherweise liegt die eigentliche Bedeutung aber woanders: Reiche betonte nicht, dass die Gaskraftwerke später auf klimaneutralen, grünen Wasserstoff umgestellt werden sollten.
Kurz vor dem Ende der Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP hatte Habeck noch das Kraftwerkssicherheitsgesetz auf den Weg gebracht, das allerdings nicht mehr beschlossen wurde. Darin steht dies: Es sollten Ausschreibungen beginnen für den Neubau von Gaskraftwerken mit einer Leistung zur Stromproduktion von fünf Gigawatt (GW, Milliarden Watt).
Das wären etwa zehn Anlagen. Geplant war, sie innerhalb einiger Jahre von Erdgas auf Wasserstoff umzurüsten. Zwei Gigawatt bereits bestehender Gaskraftwerke sollten sofort für Wasserstoff modernisiert werden. Zusätzlich wollte man ein neues Kraftwerk direkt mit dem alternativen Brennstoff laufen lassen. Und schließlich wollte die Regierung noch fünf GW konventioneller Gaskraftwerke ohne Umrüstungsoption errichten. Insgesamt ging es um Anlagen mit 12,5 GW Leistung.
Der Sinn der Sache: Die Erneuerbaren Energien Wind und Sonne liefern manchmal sehr viel Elektrizität, manchmal wegen Windstille und Bewölkung aber auch fast keine. Um Privathaushalte, Gebäude und Unternehmen trotzdem verlässlich mit Energie zu versorgen, sind deshalb Reservekraftwerke nötig, die nur bei Bedarf anspringen. Sie sollen vorübergehend noch fossiles Erdgas, später jedoch überwiegend klimaneutralen, aus Ökoenergie hergestellten Wasserstoff verbrennen. Weil diese Kraftwerke vermutlich selten laufen und Geld einbringen, muss ihr Betrieb staatlich angeschoben und ausgeschrieben, außerdem bezuschusst werden, entweder aus dem Bundeshaushalt oder per Umlage auf die Strompreise.
Vorher waren schon höhere Zahlen im Gespräch. Die Annahmen über die Leistung der nötigen Gaskraftwerke reichten bei Wirtschaftsministerium und Bundesnetzagentur bis zu 24 GW. So betrachtet erscheint die größere Menge nicht erstaunlich, die die neue Koalition und ihre Wirtschaftsministerin Reiche nun anpeilt. Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD vereinbart, „bis zu 20 GW an Gaskraftwerksleistung bis 2030“ anzuschieben. Ministerin Reiche hat daraus zeitweise „mindestens 20 GW“ gemacht.
Entscheidend könnte vielmehr ein anderer Punkt werden: Die geplante Umstellung auf Wasserstoff kommt bei der neuen Koalition nicht mehr ausdrücklich vor. Stattdessen betont Reiche, dass man bei der Stromproduktion in den neuen Gaskraftwerken das klimaschädliche Kohlendioxid auffangen, speichern oder industriell nutzen könne. Das ist aber nicht unumstritten.
Da ist die Kostenfrage: Heute sind Gaskraftwerke meist die teuersten Stromerzeuger. Das liegt vor allem an den relativ teuren Flüssiggasimporten. Große Mengen günstigen Pipelinegases dürfte mittelfristig aber höchstens Russland liefern können – ein extrem unzuverlässiger Partner. Durch den steigenden CO2-Preis der EU werden die Kosten für Strom aus Gas wahrscheinlich zusätzlich steigen.
Die Abscheidung von CO2 an Gaskraftwerken indes sehen viele Experten kritisch, darunter EnBW-Chef Georg Stamatelopoulos. Der Grund: Im Gegensatz zu Müllverbrennungsanlagen und Zementwerken haben Gaskraftwerke eine geringe CO2-Dichte im Rauch – und laufen nur relativ wenige Stunden im Jahr. Das würde die Abscheidung sehr teuer machen.
Allerdings ist auch grüner Wasserstoff umstritten, da er sehr teuer sein dürfte. Ökonomen fordern deshalb, möglichst viele Reservekraftwerke technologieoffen auszuschreiben. Mögliche Konkurrenten könnten etwa Batteriespeicher oder Biogasanlagen sein, die ihren Brennstoff für Phasen des Strommangels bündeln.
Ein weiteres Problem: Wie der „Spiegel“ berichtet, hat die EU dem Habeck-Plan beihilferechtlich nur für fünf Gigawatt fossiler Gaskraftwerksleistung zur Sicherung der Versorgung zugestimmt. Darüber hinaus müsste die Erzeugungsleistung entweder technologieoffen ausgeschrieben werden oder dem Klimaschutz dienen. Beide Bedingungen erfüllen reine Gaskraftwerke nicht.
Die Probleme scheint auch der Verband der Energiewirtschaft (BDEW) zu sehen. Er empfiehlt Wirtschaftsministerin Reiche „so wenige Anpassungen wie möglich, so viele wie nötig“ an Habecks Gesetzentwurf. „Wir brauchen gesicherte Erzeugungsleistung, unter anderem wasserstofffähige Gaskraftwerke, die jetzt schnell, effizient und investitionssicher ermöglicht werden müssen“, sagte BDEW-Chefin Kerstin Andreae.