Ein Insekt bedroht deutsches Wurzelgemüse. © Marijan Murat/dpa
Karlsruhe/München – Zuerst wurden Zuckerrüben weich, dann Kartoffeln, nun sind auch Zwiebeln, Sellerie, Rote Bete, Kohl, Möhren sowie teils Rhabarber und Paprika betroffen: Die über eine Zikadenart verbreitete Pflanzenkrankheit Stolbur bedroht nach Angaben des Deutschen Bauernverbandes die Landwirtschaft. Vor allem in Süddeutschland gelte sie als „ernste Bedrohung“ für die Versorgung mit heimischen Kartoffeln, Gemüse und Zucker, so das baden-württembergische Landwirtschaftsministerium. Die Schäden gehen nach Schätzung des Landesbauernverbandes allein in Baden-Württemberg „in die Millionen“. Das Insekt hat sich dem Deutschen Bauernverband zufolge von Baden-Württemberg über Rheinland-Pfalz, Bayern und Hessen in Deutschland ausgebreitet. Der Südwesten ist in Bezug auf die Ausbreitung und wirtschaftlichen Folgen am stärksten betroffen.
Das Bakterium Candidatus Phytoplasma solani wird durch Stiche der Schilf-Glasflügelzikade auf Pflanzen übertragen, die verursachte Krankheit wird Stolbur genannt. Infizierte Bestände welken, Wurzeln und Knollen werden gummiartig. Der Ertrag sinkt, Geschmack und Qualität leiden, etwa durch geringeren Zuckergehalt. Bei starkem Befall können Zuckerrüben, Kartoffeln und Gemüse nicht verarbeitet und gelagert werden.
Stolbur und die ebenfalls von Zikaden übertragene Infektionskrankheit SBR (Syndrom der niedrigen Zuckergehalte) sorgen für hohe Ertrags- und Qualitätsverluste. Allein bei Zuckerrüben stieg die betroffene Fläche von 40 000 Hektar im Jahr 2023 auf mindestens 75 000 Hektar im vergangenen Jahr. Das entspricht laut Bauernverband etwa einem Viertel der deutschen Anbaufläche.
Kartoffeln zählen zu den wenigen Lebensmitteln, mit denen sich Deutschland weitgehend selbst versorgen kann. Nach Angaben der Union der Deutschen Kartoffelwirtschaft (UNIKA) sind derzeit rund 65 000 Hektar als Regionen eingestuft, in denen Schilf-Glasflügelzikaden vorkommen und Kartoffeln infizieren können. Das entspricht knapp einem Viertel der gesamten Anbaufläche des Grundnahrungsmittels in Deutschland, wie Verbandsgeschäftsführer Sebastean Schwarz sagt.
Ob und wie sich die Zikade verbreitet, hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter der Witterung. Im wärmeren Süden ist sie bereits ein großes Problem: Welke Kartoffeln werden seit 2024 vermehrt gefunden etwa von Karlsruhe bis zur Hohenloher Ebene sowie von Heilbronn über Ludwigsburg bis Stuttgart. In Bayern wurden sie auch in Eichstätt, Pfaffenhofen/Ilm und Neuburg-Schrobenhausen entdeckt. Zikaden fühlen sich in warmen Frühsommern und Sommern besonders wohl und vermehren sich dann massenhaft. „Die Zikaden werden von dem Klimawandel begünstigt“, stellt das baden-württembergische Landwirtschaftsministerium fest. Durch das massenhafte Auftreten der Zikaden von Mitte Mai bis Ende August könnten demnach weitere Kulturpflanzen in Regionen mit Rübenanbau infiziert werden.
Nach Angaben der Verbände und Behörden gibt es keine Hinweise, dass Stolbur für den Menschen gesundheitsschädlich sein könnte. Auch kommen Kartoffeln und Gemüse mit gummiartiger Konsistenz oder bei Anzeichen von Fäulnis erst gar nicht in den Handel. Breitet sich die Krankheit weiter aus, könnten Verbraucher im Herbst weniger heimische Kartoffeln bekommen. „In einigen Betrieben steht der Fortbestand des Anbaus infrage“, so eine Sprecherin des Landesbauernverband Baden-Württemberg. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) kann den Einsatz eines nicht zugelassenen Pflanzenschutzmittels zeitlich begrenzt erlauben, wenn ein Schädling nicht anders bekämpft werden kann. Gegen die Zikade wurden solche Pflanzenschutzmittel unter strengen Vorgaben bereits gestattet. Ob das reicht, ist bisher unklar.