Kartoffeln und Rüben sind in Russland knapp und teuer geworden. © arne balling, dpa
St. Petersburg – In Russland, dem Staat mit der potenziell größten Anbaufläche für Landwirtschaft, sind Kartoffeln und Zwiebeln ausgegangen. Das Defizit hat sogar Präsident Wladimir Putin bemerkt. „Es hat sich herausgestellt, dass uns Kartoffeln fehlen“, klagte der Kremlchef vor wenigen Wochen. Auch bei Zuckerrüben und einigen Gemüsesorten gebe es Engpässe, räumte er ein. Zuvor waren die Preise für Kartoffeln in den russischen Geschäften durch die Decke gegangen. Innerhalb des letzten Jahres haben sie sich offiziellen Angaben nach fast verdreifacht, der Preis für Zwiebeln verdoppelt. Kohl kostet über 50 Prozent mehr als vor einem Jahr.
Etwas mehr als einen Euro mussten die Russen im Juni für ein Kilo Kartoffeln ausgeben. Bei Durchschnittseinkommen von laut Rosstat knapp 1000 Euro vor Steuern und bei Renten von etwas mehr als 200 Euro ist das nicht wenig. Die Lebensmittelpreise sind einer der Haupttreiber der Inflation in Russland. Die Zentralbank versucht, diese mit einem hohen Leitzins unter Kontrolle zu bekommen.
Doch damit ist Russland nun auf weitere Komplikationen gestoßen. Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow hat ungewöhnlich deutlich vor Problemen für die einheimische Wirtschaft gewarnt: „Den Zahlen nach haben wir eine Abkühlung, den aktuellen Empfindungen der Unternehmer nach sind wir schon an der Grenze zum Übergang in eine Rezession.“ Auch Zentralbankchefin Elvira Nabiullina sieht Schwierigkeiten. Russlands Wirtschaft sei zwei Jahre lang trotz der Sanktionen durch Programme zur Importverdrängung gewachsen – dank Geldern aus dem Wohlstandsfonds und bestehenden Kapitalreserven des Bankensystems. „Wir müssen verstehen, dass viele dieser Ressourcen tatsächlich aufgebraucht sind, und wir müssen über ein neues Wachstumsmodell nachdenken“, sagte sie.
Hella Engerer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung glaubt, dass die Lage ernster ist, als die Zahlen zeigen: „Offiziell liegt die Inflation in Russland bei zehn Prozent. Der Leitzins von 20 Prozent lässt aber vermuten, dass sie in Wirklichkeit höher ist. Zu berücksichtigen ist, dass manche Güter eventuell gar nicht oder schwer verfügbar sind und deshalb aus der Rechnung fallen.“ Fraglich ist, ob das die Regierung unter Druck setzt: „Der Kreml hat bislang wenig Rücksicht auf die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung genommen. Wenn nun öffentlich über eine Verlangsamung des Wachstums gesprochen wird, kann dies darauf hindeuten, dass Durchhalteparolen folgen werden.“
Eine der wichtigsten Finanzierungsmöglichkeiten Russlands ist der Verkauf von Erdgas und Öl. Grundsätzlich ist dieser Geldfluss gehemmt: Die G7-Staaten und die EU haben vereinbart, russisches Öl nur zu einem Preis von 60 Dollar pro Barrel und weniger zu kaufen. Das Problem: Russland kann das Öl durch seine sogenannte Schattenflotte an den Sanktionen vorbeischmuggeln. Weil Öl global verschifft wird, profitiert Russland derzeit von gestiegenen Preisen: „Russland kann sein Öl in verschiedenen Regionen der Welt zu unterschiedlichen Preisen verkaufen“, erklärt Hella Engerer. Laut öffentlichen Marktdaten war russisches Öl am Freitag 74 Dollar pro Barrel wert. „Bilaterale Tauschgeschäfte sind dabei nicht auszuschließen, aber hier ist der Preis nicht bekannt“, so Engerer.
Ob Russland dauerhaft von hohen Preisen profitieren kann, hängt vom Verlauf des Kriegs zwischen Israel und dem Iran ab. Denn ohne die aktuellen Risikoprämien ist der Ölpreis global schwach, Donald Trumps Zollpolitik bremst die Wirtschaft und damit die Ölnachfrage. Erst Ende April verzeichnete russisches Öl ein Mehrjahres-Tief von 54 Dollar. Hella Engerer warnt aber: „Die laufenden Einnahmen aus dem Öl- und Gashandel sind nicht die einzigen Einnahmequellen. Die Föderation verfügt noch über Reserven in Gold und Fremdwährungen.“MAS/DPA