Nyingchi – China hat mit dem Bau eines weiteren gewaltigen Staudamms in Tibet begonnen. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtete, verkündete Ministerpräsident Li Qiang am Wochenende den Baubeginn des Projekts während des Spatenstichs in Nyingchi, im Süden des autonomen Gebiets nahe der Grenze mit Indien. Li besichtigte auch noch andere Großbau-Vorhaben in der Region.
China will mit dem Staudamm am Fluss Yarlung Tsangpo Strom in andere Gegenden übertragen, aber auch Energie für die Region gewinnen. Für den Bau des aus fünf Kraftwerken bestehenden Staudamms erwartet Peking laut offiziellen Angaben Kosten in Höhe von 1,2 Billionen Yuan (fast 143,8 Milliarden Euro).
Den Bau des Staudamms hatte sich die Kommunistische Partei in ihren laufenden Fünf-Jahres-Plan geschrieben. Im vergangenen Dezember gab Peking schließlich grünes Licht. Der Damm soll jährlich 300 Milliarden Kilowattstunden Strom gewinnen. Er hätte damit dreimal so viel Kapazität wie der berühmte Drei-Schluchten-Damm am Yangtze-Fluss und wäre der größte Staudamm der Welt.
China sieht den Damm als Beitrag für sein Ziel, bis 2030 den Höhepunkt seiner Kohlenstoffdioxid-Emissionen erreicht zu haben und bis 2060 klimaneutral zu werden.
Das Großprojekt ließ bereits Umweltbedenken aufkommen und die Sorge vor einem deutlichen Eingriff in die dortige Natur. Der Yarlung Tsangpo, der in Indien Brahmaputra heißt, ist mit rund 3000 Kilometern einer der längsten Flüsse der Welt. Vom Himalaja in Tibet fließt er weiter durch Indien und Bangladesch, wo er in den Ganges und schließlich in den Golf von Bengalen mündet. Staut China das Wasser am Oberlauf, hat das Auswirkungen auf die Nachbarländer Indien und Bangladesch, die am Unterlauf des Yarlung Tsangpo liegen. Indien mahnte China im März, dafür zu sorgen, dass der Damm nicht die Aktivitäten der anderen betroffenen Staaten beeinträchtige.
Ohnehin liegt der Staudamm nahe einem Gebiet, auf das Peking und Neu-Delhi schon länger Machtansprüche erheben. China nennt die Region Zangnan, in Indien heißt sie Arunachal Pradesh. Der Streit um das Gebiet ließ zuletzt eine diplomatische Eiszeit zwischen den beiden bevölkerungsreichsten Ländern der Welt anbrechen.
Peking beteuerte unterdessen, der Staudamm werde keine negativen Folgen für die flussabwärts gelegenen Gebiete haben. Die Regierung bleibe im Gespräch mit den betroffenen Staaten.DPA/AFP