Siemens digitalisiert die Staatsoper

von Redaktion

Per 3D-Brille und Kopfhörer wird die Akustik-Simulation erlebbar. Das System ist in der Lage zu berechnen, wie eine Oper etwa ganz oben auf der Galerie klingt. © Siemens

Das Nationaltheater in München ist Heimat der Bayerischen Staatsoper – jetzt hat das Gebäude einen Digitalen Zwilling erhalten. Siemens hat den Saal akustisch vermessen. © Sigi Jantz

München – Die Akustik des Großen Festspielhauses in Salzburg hat Siemens bereits digitalisiert, jetzt folgt ein Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, nur wenige hundert Meter entfernt von der Siemens-Zentrale am Wittelsbacherplatz: Das Nationaltheater in München, Spielstätte der Bayerischen Staatsoper. „Es ist ein Haus von Tradition, es ist immer aber auch ein Haus gewesen von Innovation“, sagt Intendant Serge Dorny. Innovation heißt in diesem Zusammenhang: Das Nationaltheater hat jetzt einen digitalen Zwilling, die Akustik lässt sich damit eins zu eins nacherleben.

Die Anwendung selbst ist spielerisch und simpel: Man zieht sich eine 3D-Brille samt Kopfhörern auf, sieht vor seinen Augen ein Abbild des Saals, aus dem Orchestergraben erklingt ein Stück aus der Oper „Carmen“. Die Musik läuft, per Knopfdruck lässt sich der Klang von der Galerie aus schwindelerregender Höhe erleben – oder direkt aus dem Orchestergraben. Auch lässt sich die Musik aus der Position des Dirigenten erleben.

Das Rechenmodell dahinter ist komplex: Damit der Klang im Computermodell eins zu eins dem des Nationaltheaters entspricht, musste Siemens den Saal akustisch vermessen und herausfinden, wie genau sich die Schallwellen zwischen Orchestergraben und Königsloge ausbreiten. Und das Bayerische Staatsorchester musste das Stück aus „Carmen“ in einem Raum aufnehmen, der den Schall komplett verschluckt – kein Hall, keine Resonanzen. „Für die Musiker war das nicht einfach“, sagt Stephan Frucht, Künstlerischer Leiter des Siemens Arts Program. Die Aufnahme sei „trocken“, es fehle jegliche Emotionalität, jedes Instrument sei einzeln eingespielt worden. Erst am Ende wurden die Tonspuren mit dem Computermodell kombiniert – der Original-Klang des Nationaltheaters war in der virtuellen Welt.

„Die Digitalisierung ist für die klassische Musik eine große Chance“, sagt Stephan Frucht. Beispielsweise können Dirigenten ihr Orchester per Knopfdruck in unterschiedlichen Besetzungen hören – und entscheiden, mit wie vielen Geigen sie nach München fliegen, das spare Kosten. Auch ließe sich vor der ersten Probe einer Oper ermitteln, welchen Effekt das Bühnenbild auf den Klang habe. Genauso könnte man die Technologie im Ticket-Vertrieb einsetzen, Opern-Besucher könnten den Klang von verschiedenen Sitzplätzen aus zu Hause am PC erfahren und feststellen, dass auch günstige Plätze eine ausgezeichnete Akustik bieten.

Überraschen mag, dass Siemens mit dem digitalen Zwilling kein Geld verdient. „Wir verkaufen das nicht“, sagt Stephan Frucht. Die Bayerische Staatsoper sei ein langjähriger Partner des Siemens Arts Program, Siemens unterstütze das Haus auf dem Weg in die Digitalität. Grundsätzlich sind Akustik-Simulationen aber durchaus ein Teil des Siemens-Geschäfts: In der Sparte Digital Industries gibt es einen ganzen Geschäftszweig, der akustische Zwillinge von Schiffen, Flugzeugen oder Autos entwirft. Bei der Entwicklung neuer Schiffe geht es etwa darum, die Schall-Emissionen so zu reduzieren, dass Wale oder Delfine weniger gestört werden. Fluglärm lässt sich vermeiden, wenn beim Design neuer Triebwerke solche Simulationen genutzt werden. Und bei Autos kann bereits die Form des Außenspiegels Effekte auf die Geräuschkulisse im Innenraum haben – entsprechend nutzen Autohersteller die Technologie.

Theoretisch ließe sich die Akustik-Simulation auch beim Bau neuer Konzerthäuser nutzen. Stephan Frucht hofft daher, dass die Technologie beim Bau eines neuen Konzerthauses in München zum Einsatz kommt – sollte es bis 2036 tatsächlich gebaut werden.

Artikel 7 von 9