INTERVIEW

„Anleger suchen nach Alternativen“

von Redaktion

Ist jetzt die Zeit, um amerikanische Aktien zu verkaufen?

Börsianer suchen Orientierung. Die Einschätzungen zum US-Markt sind zwiespältig. Aktionismus ist aber selten von Vorteil. © SPENCER PLATT, getty images, afp

Frankfurt – US-Präsident Donald Trump hält nicht nur die Handelswelt in Atem, sondern auch die Börsen. Statt auf das Völkerrecht setzt er auf das Recht des Stärkeren, er greift Handelspartner und Verbündete an und rüttelt sogar an der Unabhängigkeit der US-Notenbank. Ist es an der Zeit, seine US-Aktien zu verkaufen? Das haben wir Chris Hofmann von Vanguard gefragt. Mit zehn Billionen Euro an Kundengeldern ist die auf ETF genannte Indexfonds spezialisierte US-Finanzgenossenschaft knapp hinter Blackrock der zweitgrößte Vermögensverwalter der Welt.

Frau Hofmann, an den Börsen dreht sich derzeit alles um Zölle, nun gibt es eine Einigung zwischen den USA und der EU. Wie viel Aufmerksamkeit müssen Anleger dem schenken?

Natürlich prägt der Zollkonflikt die Börsen. Aus den Gesprächen mit unseren Kunden wissen wir sehr gut um die Ängste, die es wegen der Zollpolitik gab und gibt. Ein einzelner Trump-Tweet kann die Börsen nach oben schicken oder zum Absturz bringen. Trotzdem raten wir davon ab, diese politischen Börsen spielen zu wollen. Als Anleger sollte man eher einen langfristigen Blick beibehalten.

Das tun doch viele, machen sich aber Sorgen, dass Trump das politische System in den USA dauerhaft beschädigt und auch die Finanzmärkte in Mitleidenschaft zieht. Sollte man seine US-Aktien nicht lieber verkaufen?

So drastisch sehe ich das bisher nicht. Wirtschaftlich läuft es in den USA gut, wir rechnen für das Gesamtjahr mit 1,6 Prozent Wachstum. Die Inflation hat zwar leicht angezogen, aber ist immer noch im Rahmen. Und, besonders wichtig: Die Preise für Derivate, mit denen sich Großinvestoren wie Banken, Versicherer, Pensionskassen oder Hedgefonds dagegen absichern, dass die USA ihre Kredite einmal nicht mehr zurückzahlen können, sind trotz der wachsenden US-Schulden kaum gestiegen. Das zeigt: Noch haben die großen Investoren viel Vertrauen in die USA. Das Land ist nach wie vor das Zentrum unseres Finanzsystems. Aber: Wir merken sehr wohl, dass sich Anleger nach Alternativen umsehen.

Wo finden sie die?

Überspitzt gesagt, gab es am Aktienmarkt in den vergangenen 15 Jahren immer nur eine Anlageregion: Amerika. Das hat sich eigentlich schon im Herbst geändert – auch, weil US-Aktien mittlerweile einfach sehr teuer sind. Seither haben wir große Kapitalflüsse in europäische Aktien und Schwellenländer-ETFs. Aber auch Anleihen sind nach einem Dornröschenschlaf in der Nullzinszeit wieder gefragt. Mit Unternehmensanleihen sind wieder rund fünf Prozent pro Jahr möglich, so viel wie zuletzt vor der Finanzkrise. Man sieht: Die Kunden diversifizieren ihre Portfolios wieder stärker und senken den hohen Anteil ab, den amerikanische Werte dort haben.

In globalen Aktienindizes wie dem MSCI World oder dem FTSE All World machen US-Aktien rund zwei Drittel. Viele deutsche Anleger haben solche Indizes in ihren Portfolios. Was sollten die jetzt tun?

Ruhig bleiben. Das Tolle an den globalen Aktienindizes ist ja, dass sie viel wandelbarer sind, als viele denken. Über die Jahre setzen sich dort immer die besten Unternehmen und die besten Regionen durch. In den vergangenen Jahren waren das eben US-Aktien, weshalb diese dort heute mit Abstand das höchste Gewicht haben. Das muss aber nicht auf ewig so bleiben. Verlieren die USA an den Finanzmärkten an Gewicht oder steigt der Einfluss eines anderen Marktes, sinkt auch der Anteil der US-Aktien im Index wieder. Ein historisches Vorbild dafür gibt es bereits: Ende der 1980er machten Aktien aus Japan rund 40 Prozent im MSCI World aus. Als die Blase platzte, versank das Land zwei Jahrzehnte in einer tiefen Krise samt Stagnation und Deflation. Im MSCI World nahmen in dieser Zeit dann unter anderem die heutigen amerikanischen Techriesen Stück für Stück den Platz der japanischen Konzerne ein.

Das brachte damals auch den MSCI World ein paar Jahre in Probleme. Keine tolle Perspektive, oder?

Stimmt, ganz ohne Schmerzen läuft so eine Anpassung nicht ab. Da braucht man Durchhaltevermögen. Doch auf diese harten Jahre folgte dann auch wieder eine besonders gute Börsenphase. Diese sogenannten Bullenjahre halten im Schnitt nicht nur länger an und gleichen die Verluste wieder aus, sondern bringen Anlegern auch gute Renditen. Unter dem Strich konnte man seit dem Platzen der Blase in Japan im Jahr 1990 jährlich 9,4 Prozent mit globalen Aktien verdienen, wenn man einfach nur langfristig investiert geblieben ist. Und das ist eine ganze Menge.

INTERVIEW: ANDREAS HÖSS

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