Der ehemalige Wirecard-Chef Braun betont seine Unschuld. Allerdings sieht das Gericht wenig Beweise dafür. © Frank Hoermann/Imago
München – Auch Mammutprozesse enden irgendwann. Im Wirecard-Fall hat der Vorsitzende Richter Markus Födisch jüngst verkündet, dass er die Ziellinie in greifbarer Nähe sieht. „Wir werden jetzt irgendwann in die Endphase des Verfahrens kommen“, erklärte er am Landgericht München vor den Sommerferien. Die Beweisaufnahme werde wohl im Schlussquartal des Jahres nach dann drei Prozessjahren beendet. Auch was ein Urteil selbst angeht, hat der Richter eine recht klare Erwartungshaltung geschaffen.
Die anklagende Staatsanwaltschaft möge doch bitte erwägen, einen Anklagepunkt fallen zu lassen, der sich um eine mutmaßlich mit Lügen erschlichene Wirecard-Wandelanleihe über 900 Millionen Euro rankt. In jedem anderen Wirtschaftsprozess wäre so etwas die Hauptsache. Im Wirecardverfahren dagegen falle dieser Vorwurf wohl „nicht mehr beträchtlich ins Gewicht“, befand Födisch. Egal was bei der Wandelanleihe noch bewiesen werden könnte, herrscht bei schwerwiegenden Anklagepunkten, die eine hohe Gefängnisstrafe erwarten lassen, bereits Klarheit, heißt das. Brauns Pflichtverteidigerin warf dem Gericht nach Födischs Worten postwendend Voreingenommenheit vor und kündigte unverminderten Kampf um einen Freispruch an.
Das Damoklesschwert, das über Braun hängt, entwickelt sich in Zeitlupe aber erkennbar zum Fallbeil. Bis zu 15 Jahre Freiheitsstrafe drohen ihm. Ein Urteil in diesem Bereich scheint möglich. Auch für den früheren und mitangeklagten Wirecard-Chefbuchhalter Stephan von Erffa sieht es nicht gut aus. Braun wie Erffa beharren im Gegensatz zum dritten Angeklagten darauf, völlig unschuldig zu sein. Dritter im Bund ist mit Oliver Bellenhaus der Ex-Statthalter von Wirecard in Dubai, der im Prozess als geständiger Kronzeuge fungiert hat.
Dass sich Brauns Verteidigungsstrategie weitgehend in Luft aufgelöst hat, zeigte vor Kurzem auch eine besondere zweitägige Zeugenaussage, die beim sonst stoisch schweigsamen Braun die Nerven erkennbar blankgelegt hat. Ausgesagt hatte mit Michael Jaffe der Wirecard-Insolvenzverwalter zu für Braun besonders heiklen Punkten. Der Ex-Konzernchef sieht sich nicht als Täter, sondern als Opfer angeklagter Wirtschaftsdelikte wie gewerbsmäßiger Bandenbetrug, Untreue oder Bilanzmanipulation. Seiner Version nach waren Kronzeuge Bellenhaus und der flüchtige Ex-Vorstand Jan Marsalek die wahren Verbrecher. Sie hätten lukrative Wirecard-Geschäfte über Schattenfirmen trickreich in die eigenen Taschen gelenkt und seinem Konzern geraubt. 1,9 Milliarden Euro an Wirecard-Treuhandguthaben auf Konten in Asien hätten dann am Ende gefehlt und 2020 die Wirecard-Insolvenz ausgelöst, die bei Gläubigern aller Art rund zehn Milliarden Euro Schaden hinterlassen hat.
Im Prozess wurden aber keinerlei Hinweise sichtbar, dass es diese 1,9 Milliarden Euro je gegeben hat. Auch für angeblich dahinter stehende, lukrative Drittpartnergeschäfte in Asien fand sich kein Beleg. Das hatte Jaffe bestätigt, der als Insolvenzverwalter seit Jahren nach Geldern fahndet, mit denen er Gläubiger noch entschädigen könnte. Es sei ausgeschlossen, dass es die angeblichen Kunden in Asien und die damit auf dem Papier der Wirecard-Bilanzen erzielten Gewinne je gegeben hat, betonte der Experte.
Nachdem Jaffe den Zeugenstand verlassen hatte, wurde Braun möglicherweise endgültig klar, was die Stunde geschlagen hatte. Es „kann nicht stimmen“, was der Zeuge von sich gegeben habe, befand der Angeklagte in einer seiner raren Wortmeldungen. Die lukrativen Geschäfte, die Jaffe als nicht existent charakterisiert hatte, seien nämlich komplett nicht wie sonst alle anderen Geschäfte über firmeneigene Mailserver von Wirecard, sondern per Geheimchat über den verschlüsselten Messengerdienst Telegram abgewickelt worden. Nur deshalb könne man nichts finden.
Födisch blieb unbeeindruckt. „Was ich auch nicht verstehe – wie Sie das entlasten soll“, meinte der Richter und sieht das Ende des Verfahrens nahen. Anfang September wird weiterverhandelt.