In die Infrastruktur sollen in den nächsten Jahren Milliarden gesteckt werden. Die Baubranchen wird davon profitieren, ist Franz Xaver Peteranderl, Präsident des Bayerischen Industrie- und Handelskammertages, überzeugt. © marcus schlaf / archiv
Im Handwerk fangen heuer deutlich mehr junge Leute eine Lehre an als gedacht. Zufrieden?
Ja. Bayernweit gibt es ein Plus von 3,2 Prozent bei den neuen Lehrverträgen, und es kommen immer noch weitere dazu. Wir sind jetzt wieder fast auf dem Stand von 2019, also vor Corona. Und das, obwohl in diesem Jahr wegen des fehlenden Abi-Jahrgangs die Zahl der Schulabgänger niedriger war.
Wie kommt es, dass Jugendliche plötzlich das Handwerk für sich entdecken?
Das dürfte auch am „Tag des Handwerks“ in allen weiterführenden Schulen, also auch an Gymnasien, in Bayern liegen. Den gibt es seit dem Schuljahr 2022/2023. Junge Leute können in Handwerksberufe hineinschnuppern und bekommen Informationen. Das ist ein wirklich guter Ansatz, denn dadurch beschäftigen sich auch die Eltern und vor allem die Lehrer mehr mit dem Thema Handwerk, und das sind ja nach wie vor wichtige Berater für die Schülerinnen und Schüler.
Gab es da bisher Vorbehalte in Gymnasien?
Es ist jedenfalls gut, dass auch die Lehrer an Gymnasien erfahren, welche hohen Anforderungen in einer Lehre gestellt werden und dass das Handwerk rund 130 anspruchsvolle Ausbildungsberufe umfasst. Und sie erfahren, wie gut die Chancen sind, sich nach einer Lehre weiterzuqualifizieren, bis hin zum Meister oder Hochschulstudium, wenn man das möchte.
Was an den Zahlen noch auffällt, ist, dass so viele Jugendliche mit Migrationshintergrund eine Handwerkslehre begonnen haben. Wie kommt das?
Ich glaube, dass die zweite und dritte Generation der hier lebenden Ausländer inzwischen den Wert einer soliden Ausbildung zu schätzen weiß. Den früheren Generationen war vielleicht wichtiger, dass die Jugendlichen möglichst schnell mitverdienen. Doch mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine duale Berufsausbildung sich langfristig auch finanziell auszahlt. Dieses Umdenken muss noch viel stärker wachsen. Deshalb halte ich es auch für so wichtig, die Eltern bei der Berufsorientierung einzubeziehen.
Auch wenn das Ausbildungsjahr gerade begonnen hat, es gibt noch viele freie Plätze und unversorgte Jugendliche. Wie finden beide jetzt noch zusammen?
Es gibt noch 7900 freie Lehrstellen im bayerischen Handwerk. Man kann sich immer noch bewerben. Ein Ausbildungsbeginn ist bis Mitte November ohne Weiteres möglich. Es gibt beispielsweise am 13. September in München noch eine LastMinute-Ausbildungsmesse – die auch eine Chance für unversorgte Jugendliche oder Azubis ist, die wechseln möchten.
Der Bedarf an Fachkräften im Handwerk wird ja absehbar nicht weniger werden. Im Gegenteil, durch das milliardenschwere Investitionspaket des Bundes wird ja vor allem das Handwerk viele Aufträge bekommen, oder?
Ja, davon gehe ich aus. Vor allem im Bereich Bahn, Straßenausbau und Wohnungsbau muss viel getan werden. Gerade im Wohnungsbau ist ein großer Teil Handwerk, vor allem im Ausbau. Und wir müssen bezahlbare Wohnungen bauen, wenn die Bundesregierung Erfolg haben will.
Besteht nicht die Gefahr, dass große Konzerne die Aufträge abgreifen und für die Mittelständler nicht mehr viel übrig bleibt?
Glaube ich nicht. Wir haben im Bereich Bau gar nicht so viele Konzerne, die Großprojekte allein stemmen können. Da werden Projekte aufgeteilt und Aufträge für große Mittelständler, aber auch für kleinere Betriebe anfallen. Übrigens werden wir auch im Bereich der Bundeswehr viel zu tun bekommen. Wenn es zur Wehrpflicht kommt, brauchen wir neue Kasernen und bestehende Standorte werden neu aktiviert oder umgebaut werden müssen. Das wird auch das Handwerk machen.
Wie muss die Auftragsvergabe dann laufen?
Wichtig ist, dass nicht nur mit einer Funktionalvergabe gearbeitet wird, die nur die großen Betriebe anspricht, weil nur die von der Planung über die Koordination bis zur Umsetzung alles aus einer Hand bieten können. Ein Zehn-Mann-Betrieb kann das normalerweise nicht. Der kann sich aber bewerben, wenn ein Auftrag in kleinere Stücke aufgeteilt wird, Fach- und Teillosvergabe ist dafür der Begriff.
Müssen die Aufträge nicht immer europaweit ausgeschrieben werden?
Das ist die Frage: Müssen sie das wirklich? Und wenn: Wie viele Unternehmen aus Polen oder Frankreich werden sich um einen Zwei-Millionen-Auftrag in Deutschland bewerben, wenn sie nicht gerade in Grenznähe sind? Anders ist das bei einem 400-Millionen-Auftrag. Auch für die Kommunen wäre es eine Riesenerleichterung, wenn sie nicht jeden Auftrag europaweit ausschreiben müssten, der bürokratische Aufwand ist auch bei einem Zwei-Millionen-Auftrag gewaltig. Und das macht ja aller Voraussicht nach eh eine Firma aus der Region.
Beschleunigte Planung und Bürokratieabbau sind ja ein weiteres Versprechen der Regierung.
Richtig. Die Abschaffung der Verpflichtung zur europaweiten Ausschreibung bei kleineren Aufträgen wäre ein Anfang.
Ist das wirklich so ein großer Unterschied?
Ein Riesenunterschied. Von der Zeit her würde ich sagen,auf jeden Fall mehrere Monate.
Neben der Ausschreibungspraxis, was sind denn noch so dicke Brocken, die den Betrieben im Weg sind?
Zum Beispiel das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das jetzt vom Bund nur abgemildert wurde. Wir hatten erwartet, dass es abgeschafft wird, bis das entsprechende europäische Gesetz greift. Uns geht es darum, dass große Betriebe die Berichtspflicht nicht an die Kleinen durchreichen können.
Haben Sie ein Beispiel?
Wenn zum Beispiel ein örtlicher Bäcker der Audi-Kantine Semmeln liefert, kann es doch nicht sein, dass er den ganzen Sums des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes ausfüllen muss. Das muss weg. Ebenso sollten wir davon ausgehen, dass es bei Lieferanten aus Europa keine Probleme mit Kinderarbeit und Ausbeutung gibt – und auf entsprechende Nachweispflichten verzichten.
Bürokratie wurde von den Betrieben oft als Hauptproblem angegeben. Ist das immer noch so?
Ja. Noch vor Fachkräftemangel und meist sogar noch vor den hohen Energiepreisen. Es sind oft Kleinigkeiten, die man einfach abschaffen könnte und womit uns schon viel geholfen wäre.
Ist die Stimmung in den Betrieben denn jetzt besser als unter der alten Bundesregierung?
Schwer zu sagen. Was bisher geblieben ist, ist die Verunsicherung, wie es in vielen Bereichen weitergeht. Zum Beispiel bei der Entlastung kleinerer Betriebe bei den Energiekosten oder bei der Heizungsförderung. Denn Kunden müssen wissen, ob sie eine Wärmepumpe oder eine Gastherme einbauen sollen. Momentan warten alle ab.
Zum Schluss noch ein neues Thema: Olympia. Wie steht das Handwerk zu einer möglichen Bewerbung Münchens?
Als die Idee aufkam, Olympia wieder nach München zu holen, haben wir in unserer Vollversammlung darüber abstimmen lassen. Deshalb kann ich jetzt mit voller Rückendeckung sagen: Wir unterstützen das sehr. Weil es für die folgenden Spiele wohl schon andere Favoriten gibt, gehe ich von einer Bewerbung für 2044 aus, wenn der Bürgerentscheid positiv ausgeht.
Was würde Olympia für München bedeuten?
Hätte es die Sommerspiele von 1972 nicht gegeben, würde die Stadt heute ganz anders aussehen. Was da an Infrastruktur von Wohnungen über U-Bahnbau entstanden ist, hätte es sonst niemals in dieser Zeit gegeben. Wenn wir mit den nächsten Spielen wieder ein neues Stadtviertel bekämen wie damals das olympische Dorf, würde das auch die Lage auf dem Wohnungsmarkt entspannen. In Sachen Infrastruktur könnte man sich eine durch Olympia angestoßene Entscheidung für einen Ringschluss der S-Bahn vorstellen. Ich wünsche mir, dass dann parteiübergreifend Entscheidungen getroffen werden wie vor 1972.