Zeitenwende bei Start-ups

von Redaktion

Start einer Rakete von Isar Aerospace Ende März in Norwegen. © Isar Aerospace

Fertigung von Kampfdrohnen des Münchner Milliarden-Start-ups Helsing. © Helsing

Auf einer Konferenz in Rom im Juli lässt sich Bundeskanzler Friedrich Merz von den Gründern des Start-ups ARX Robotics ihr Fahrzeug erklären. © Michael Kappeler, dpa

Die Rettungsdrohne von Avilus soll Verwundete vom Schlachtfeld fliegen. © Avilus

München – Die Münchener Start-up-Szene präsentierte sich in den vergangenen Jahren gerne als Wirtschaftskraft, die die Welt ein bisschen besser macht. Grüne Technologien, Recycling in der Industrie, mehr Komfort für Firmen und Verbraucher – München war es gelungen, sich europaweit einen Namen als Hightech-Schmiede zu machen.

Jetzt ist die Welt eine andere: Russland hat die Ukraine überfallen, US-Präsident Donald Trump pocht auf eine eigene Verteidigung Europas, die Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz (CDU) stellt Milliarden für die Bundeswehr in Aussicht. Und die Münchner Gründer-Szene? Die mischt sich neu.

„Ich glaube, dass die Zahl der Start-ups im Bereich der Verteidigung in Zukunft stark wachsen wird, das ist nicht nur ein Strohfeuer“, sagt Florian Dötzer von der Technischen Universität München (TUM). Dötzer ist Manager bei TUM Venture Labs, einer Gründer-Initiative der Uni. Dort ist er für Luftfahrt und Verteidigung zuständig. Er sagt, junge Studenten beschäftigten sich heute viel mehr mit dem Thema Verteidigung als früher.

„Das Thema Sicherheit und Verteidigung wird ein riesiges Thema in den kommenden Jahren“, sagt Manfred Gößl, Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Industrie- und Handelskammertages (BIHK). Gerade im Münchner Raum sei die Rüstungsindustrie extrem stark vertreten, hier gebe es viele etablierte und vor allem auch junge Unternehmen. „Laut einer aktuellen Analyse kommen von den zehn erfolgversprechendsten Verteidigungs-Start-ups in Europa alleine fünf aus München.“

Das bekannteste Rüstungs-Start-up aus München: Der Drohnen-Hersteller Helsing. Über 4000 Drohnen hat das Unternehmen bereits an die Ukraine geliefert, im Februar gab das Start-up bekannt, weitere 6000 Kampfdrohnen für den Krieg zu produzieren. Helsing wirbt damit, dass seine Zwölf-Kilo-Drohnen in der Lage sind, Artillerie, gepanzerte und andere militärische Ziele auf bis zu 100 Kilometer Reichweite zu bekämpfen. Ende Juni ist Helsing zum wertvollsten deutschen Start-up aufgestiegen, nach einem Bericht des „Handelsblatt“ wird Helsing inzwischen mit zwölf Milliarden Euro bewertet. Im Juni gab Helsing bekannt, den Flugzeughersteller Grob Aircraft aus Tussenhausen im Allgäu zu kaufen.

Zweites Milliarden-Start-up: Der Drohnenhersteller Quantum Systems aus Gilching im Landkreis Starnberg. Firmensitz ist direkt am Sonderflughafen Oberpfaffenhofen. Im Frühjahr wurde der Hersteller von Überwachungsdrohnen laut „Handelsblatt“ erstmals mit einer Milliarde Euro bewertet. Start-ups, die die Milliarden-Grenze knacken, gelten in der Gründer-Szene als „Einhorn“ – in Deutschland schaffen das nur wenige.

Luft- und Raumfahrt dominieren im Großraum München, es gibt aber auch Projekte am Boden: In Schwaig im Landkreis Erding produziert ARX Robotics kleine Kettenfahrzeuge, die sich per Fernsteuerung manövrieren lassen – oder dank Sensoren komplett autonom fahren. Der Roboter sieht aus wie ein Mini-Panzer, ist aber für den Transport gedacht, kann aber auch als mobile Startrampe für Drohnen genutzt werden. Der ehemalige Bundeswehroffizier und Mitgründer von ARX Robotics, Stefan Röbel, nannte sein Fahrzeug einmal ein „fahrendes Schweizer Taschenmesser“. Jetzt plant ARX mit dem Augsburger Rüstungskonzern Renk die Entwicklung eines autonomen Panzers.

Es gibt aber auch Produkte, die sich sowohl militärisch als auch zivil nutzen lassen, Experten sprechen von „Dual use“-Gütern. Beispiel: Die Avilus GmbH mit Sitz unter anderem in Ismaning im Landkreis München. Wichtigste Entwicklung: Die Rettungsdrohne „Grille“ für die Bundeswehr. Sie soll einmal in der Lage sein, Verwundete vom Schlachtfeld zu retten. Genauso sind mit der „Dual use“-Drohne Rettungseinsätze nach Naturkatastrophen oder im Hochgebirge denkbar.

Chef von Avilus ist Ernst Rittinghaus, auch er sieht einen Kulturwandel. „In der Münchner Start-up-Szene zeichnet sich meines Erachtens ein deutliches Umdenken ab“, sagt er. „Immer mehr junge Gründerinnen und Gründer entdecken das Thema Verteidigungstechnologie für sich.“ München entwickele sich „zu einem führenden Zentrum für Defense-Tech in Europa“, getrieben von geopolitischen Spannungen. Einen Standortvorteil sieht Rittinghaus auch in der engen Zusammenarbeit von Industrie und Wissenschaft, etwa der Universität der Bundeswehr und der TUM.

Und manche „Dual-Use“-Firmen sind auf den ersten Blick gar nicht als solche erkennbar: Etwa der Raumfahrt-Pionier Isar Aerospace aus München – Ende Juni knackte das Start-up die Milliardenbewertung, das nächste „Einhorn“ aus München. Ende März hatte Isar Aerospace erstmal eine Testrakete vom Andøya Spaceport in Norwegen abheben lassen. Zwar zerschellte die Rakete nach wenigen Sekunden Flug im Meer, der kommerzielle Betrieb in einigen Jahren ist damit aber näher gerückt.

„Eine Rakete ist wie ein Lastwagen, nur dass sie Gegenstände in den Weltraum transportiert“, sagt Dötzer von TUM Venture Labs. „Und wie ein Lastwagen lässt sich eine Rakete sowohl zivil als auch militärisch einsetzen.“ Damit erklärt sich auch, warum sich der Nato Innovation Fund an der Finanzierung von Isar Aerospace beteiligt hat.

An Geld von Investoren scheint es ohnehin nicht zu mangeln. „Noch vor wenigen Jahren hatte der gesamte Militärbereich ein schmutziges Image und wurde genannt in einem Atemzug mit Drogen, Pornografie und Glücksspiel, da gab es regelrechte Ausschlusslisten“, sagt BIHK-Chef Manfred Gößl. Mit dem Ukraine-Krieg habe sich das geändert. „Die Investoren und Kreditgeber in ganz Deutschland öffnen sich jetzt in der Breite.“

Florian Dötzer von TUM Venture Labs sagt: „Es gibt jetzt neue Fonds und neue Investoren, die bisher in der Landschaft noch nicht da waren, die konsequent auf das Thema Verteidigung setzen.“ Bei bestehenden Fonds gebe es Bestrebungen, die Beschränkungen herauszunehmen, sofern die Fonds neu aufgelegt würden.

Allein bei TUM Venture Labs gebe es aktuell etwa 40 Start-ups im Bereich Luft- und Raumfahrt, sagt Dötzer – 90 Prozent davon seien „Dual use“-fähig. Etwa 50 Prozent dieser Start-ups setzten bewusst auf „Dual use“. Das heißt, die militärische Nutzung ihrer Produkte ist Kern ihres unternehmerischen Kalküls. Die „Zeitenwende“ könnte den Industriestandort München damit insgesamt verändern: Start-ups werden erwachsen, streben an die Börse, große Konzerne entstehen. Dötzer sagt: „Es würde mich schon sehr wundern, wenn der Großraum München mit seiner Stärke bei Luft- und Raumfahrt nicht im Besonderen von diesem Wandel profitieren würde.“

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