Unions-Fraktionschef Jens Spahn kann sich offenbar vorstellen, hohe Erbschaften stärker zu besteuern. © Kay Nietfeld, dpa
Berlin – Nach den Hinweisen von Unions-Fraktionschef Jens Spahn auf die Bereitschaft zu einer Reform der Erbschaft-steuer dringt die SPD auf zügige Verhandlungen der Koalitionspartner. Sie sei „optimistisch, dass wir das Thema konstruktiv gelöst bekommen“, sagte SPD-Fraktionsvize Wiebke Esdar dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Wir wollen die Erbschaftsteuer reformieren, dabei zielen wir auf sehr große Erbschaften.“
463 Mal wechselten in den vergangenen zehn Jahren 100 Millionen Euro oder mehr den Besitzer. In mindestens 258 Fällen, also mehr als der Hälfte, flossen dafür keine Steuern. Das geht aus der Antwort des Finanzministeriums auf eine Frage des Linken-Politikers Dietmar Bartsch hervor. Die seltene Ausnahme einer hohen Steuerzahlung ist das Erbe des verstorbenen Knorr-Bremse-Eigners Heinz Hermann Thiele in diesem Frühjahr (siehe Kasten).
Damit große Vermögen künftig nicht mehr ganz oder weitgehend steuerfrei vererbt beziehungsweise verschenkt werden können, schlagen die Grünen eine Reform vor, die Rücksicht auf die Bedürfnisse von Unternehmen nimmt. „Unser Vorschlag an CDU und SPD ist, in einem ersten Schritt sehr schnell und kurzfristig die Ausnahmen abzuschaffen, die aktuell zu großen Ungerechtigkeiten bei der Erbschaftsteuer führen“, sagte die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Katharina Dröge. Sie knüpft damit an eine Aussage von Spahn an, der in einer Talkshow gesagt hatte, die Vermögensverteilung in Deutschland sei ein Problem.
Steuerbefreiungen gibt es bislang zum Beispiel, wenn Betriebsvermögen, landwirtschaftliche Betriebe oder Anteile an Kapitalgesellschaften vererbt oder verschenkt werden. Damit will man vermeiden, dass Betriebe aufgegeben werden müssen, weil die neuen Besitzer die Erbschaftsteuer aus dem Privatvermögen nicht zahlen können.
Diese sogenannten Verschonungsregelungen sollten aus Sicht von Dröge geändert werden. „Niemand versteht, warum es möglich ist, dass man bei einem Erbe von 26 Millionen Euro keinen Cent Erbschaftsteuer zahlen muss, während Menschen, die weniger erben, Steuern zahlen“, erklärte die Grünen-Politikerin.
Spahns Bereitschaft, aus der ungleichen Verteilung von Vermögen in Deutschland politische Konsequenzen zu ziehen, stieß bei den Wirtschaftsverbänden und in der Union bislang auf ein verhaltenes Echo, während der Koalitionspartner SPD positiv reagierte. SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf sagte der „Rheinischen Post“: „Wir haben in Deutschland eine extreme Ungerechtigkeit, was die Verteilung von Vermögen angeht. Jedes Jahr werden 400 Milliarden Euro in diesem Land vererbt, von denen nur ein ganz kleiner Teil überhaupt steuerpflichtig ist.“
Mit Spahn hatte erstmals ein konservativer Spitzenpolitiker eine Privilegierung Vermögender eingeräumt – womöglich auch mit Blick auf ein erwartetes Urteil aus Karlsruhe zur Erbschaftsteuer. „Wer schon hatte, hat immer mehr“, sagte der CDU-Politiker in der ZDF-Talkshow „Maybrit Illner“. „Wir hatten in den letzten Jahren, gerade in der Niedrigzinsphase, die Situation, dass Vermögen eigentlich ohne größeres eigenes Zutun von alleine fast gewachsen ist. Immobilienwerte, Aktienwerte und anderes mehr.“ Spahn fügte hinzu: „Es ist ein Problem, die Vermögensverteilung.“
Gestern waren aus der Union wieder gegenteilige Stimmen zu vernehmen: Im „ZDF-Morgenmagazin“ warnte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann: „Das Problem ist im Moment, wenn wir an die Erbschaftsteuer rangehen, trifft es sofort die Familienunternehmen in Deutschland, und die darf es als Letztes treffen.“
Für Linken-Haushälter Bartsch ist die Erbschaftsteuer dagegen „die ungerechteste Steuer des Landes“. „Wer die größten Vermögen geschenkt bekommt oder erbt, spart Steuern – wer arbeitet, zahlt sie“, beklagte er. Rechtlich sei es so, politisch sei das skandalös.
Trotz der geltenden Ausnahmen haben die Finanzämter im vergangenen Jahr so viel Erbschaft- und Schenkungsteuer eingefordert wie nie zuvor: insgesamt 13,3 Milliarden Euro. Das sind 12,3 Prozent mehr als im Jahr davor. 8,5 Milliarden Euro entfielen auf Erbschaften, 4,8 Milliarden Euro auf Schenkungen (siehe Grafik). 27 Mal wechselten 100 Millionen oder mehr den Besitzer.
Die großen Vermögen werden der Statistik zufolge deutlich häufiger verschenkt als vererbt. In beiden Fällen gelten die gleichen Steuersätze und Freibeträge: Ein Ehepartner darf Erbschaften oder Schenkungen im Wert von bis zu 500 000 Euro erhalten, ohne Steuern zu zahlen. Für Kinder sind 400 000 Euro steuerfrei, bei Enkeln sind es 200 000 Euro. Trotzdem lassen sich durch Schenkungen zu Lebzeiten Steuern sparen – denn der Freibetrag kann alle zehn Jahre erneut genutzt werden. Wer früh anfängt, kann enorme Steuersummen sparen.DPA/AFP/MM