Pillen, Tee und ein paar Tage im Bett: Gerade bei Erkältungen reicht das meist, um wieder auf die Beine zu kommen. © Bernd Weißbrod, dpa
Berlin – Beschäftigte in Deutschland waren im vergangenen Jahr so oft krank wie noch nie. Das lässt sich aus Daten der AOK ableiten, der größten deutschen Krankenversicherung mit rund 15 Millionen erwerbstätigen Mitgliedern. Demnach kamen auf 100 AOK-Mitglieder im Jahr 2024 genau 228 Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigungen, jeder Versicherte war im Schnitt also 2,28 Mal krank. Zum Vergleich: 2023 gab es 223 Krankenfälle je 100 Versicherte – der bisherige Rekord. Der langjährige Durchschnitt der Jahre 2014 bis 2021 liegt bei 160 Krankmeldungen und damit deutlich niedriger.
Mehr psychische Erkrankungen
Besonders häufig: Erkältungen und Atemwegserkrankungen wie Corona. 82 von 100 Versicherten der AOK meldeten sich 2024 aus diesem Grund krank. 40 von 100 AOK-Mitglieder klagten über Muskel- und Skelettschmerzen, der zweithäufigste Krankheitsgrund. 14 von 100 Versicherten hatten psychische Erkrankungen, besonders oft betroffen war hier die Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen. Bei den psychischen Problemen geht die Fallkurve seit Jahren steil nach oben. „In den letzten zehn Jahren sind die Ausfalltage wegen psychischer Erkrankungen um 43 Prozent gestiegen“, teilte die AOK mit.
Ein Blick auf die Altersstruktur zeigt: Junge Menschen lassen sich zwar besonders häufig krankschreiben, ältere Arbeitnehmer fallen dafür aber deutlich länger aus. Die Gruppe der 15- bis 19-Jährigen war beispielsweise 4,4 Mal pro Jahr krank und damit doppelt so oft wie der Durchschnitt. Insgesamt fehlten sie aber nur 19 Tage, waren also immer schnell wieder zurück am Arbeitsplatz. 60- bis 64-Jährige waren dagegen nur zweimal krank, das dann aber für insgesamt 41 Tage. Im Schnitt fehlte jeder Versicherte laut AOK fast 24 Tage, also fast fünf Arbeitswochen.
Scharfe Debatte um Lohnfortzahlungen
Für die deutsche Wirtschaft bedeutet der hohe Krankenstand hohe Kosten. Die Krankenkassen zahlten laut Gesundheitsministerium 2024 rund 20,5 Milliarden Euro an Krankengeld. Das sind 7,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Das arbeitgebernahe Institut für Wirtschaft in Köln kalkuliert für 2024 Lohnfortzahlungen in Höhe von rund 82 Milliarden Euro – etwa zehn Milliarden Euro mehr als 2021 und doppelt so viel wie zehn Jahre zuvor.
Allianz-Chef Oliver Bäte trat deshalb zu Jahresbeginn eine Debatte um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall los. Die Deutschen seien im europäischen Vergleich besonders oft krank, kritisierte er in einem Interview mit dem „Handelsblatt“. Führe man wie in Griechenland oder Schweden einen Karenztag ein, an dem kein Lohn gezahlt werde, lasse sich der Krankenstand senken. Das spare der deutschen Wirtschaft bis zu 40 Milliarden Euro pro Jahr. Der Ökonom Bernhard Raffelhüschen, der unter anderem für einen Lobbyverband der Arbeitgeber arbeitet, sprach sich sogar dafür aus, die Lohnfortzahlung drei Tage lang zu stoppen. Gewerkschaften bezeichneten diese Ideen als „zutiefst ungerecht“.
Viele Beschäftigte gar nicht krank
Laut Experten lassen sich die vielen Krankentage auf mehrere Gründe zurückführen. So steige der Krankenstand nicht zuletzt wegen der alternden Belegschaft an und die höheren Kosten für Lohnfortzahlungen entstehen auch dadurch, dass mehr Menschen einen Job haben. Früher hätten laut AOK außerdem viele Beschäftigte ihre gelben Zettel nicht an die Versicherung gesendet, ihre Krankentage wurden schlicht nicht erfasst. Seit der Einführung der elektronischen Krankmeldung im Jahr 2023 passiert das automatisch, seither sind auch die Fehlzeiten deutlich nach oben gegangen.
Zudem kränkeln längst nicht alle dauerhaft. Rund 80 Prozent aller erfassten Fehltage gehe auf ein Viertel der Mitglieder zurück. Dagegen meldete sich über ein Drittel der AOK-Mitglieder im ganzen Jahr 2024 kein einziges Mal krank.