Der Mittelstand schafft unverdrossen Arbeitsplätze in Deutschland. Doch die Betriebe, vor allem aus dem Handwerk, verlangen jetzt mit Nachdruck Entlastungen, vor allem, was die Bürokratie angeht. © Jan Woitas, dpa, Marcus Schlaf
München – Im Handwerk lässt die konjunkturelle Trendwende auf sich warten. „Deutschland braucht tiefgreifende Reformen, um private Investitionen anzukurbeln und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu stärken“, verlangt Franz Xaver Peteranderl, Präsident des bayerischen Handwerkstages (BHT). Die Politik dürfe sich nicht nur auf große Konzerne konzentrieren, sondern auf den Mittelstand. Denn kleine und mittlere Betriebe schafften die Hälfte der Arbeitsplätze in Deutschland. Und genau diese Betriebe sind laut Peteranderl besonders darauf angewiesen, dass Versprechen wie der Bürokratieabbau auch umgesetzt würden. Auch ein international wettbewerbsfähiges Steuerniveau und die Reform der sozialen Sicherungssysteme nannte er als zentrale Punkte.
Gut 33 Millionen Erwerbstätige zählten die kleinen und mittleren Unternehmen deutschlandweit im Jahr 2024, wie aus einer Analyse der staatlichen Förderbank KfW hervorgeht. Binnen Jahresfrist seien etwa 207 000 Erwerbstätige hinzugekommen. Im Jahr zuvor waren im Mittelstand jedoch fast eine halbe Million neue Arbeitsplätze entstanden.
„Die mittelständischen Unternehmen beweisen auch in schwierigen konjunkturellen Zeiten eine hohe Resilienz. Das heißt allerdings nicht, dass es ihnen wirklich gut geht“, fasst KfW-Chefvolkswirt Dirk Schumacher Ergebnisse des jüngsten „KfW-Mittelstandspanels“ zusammen. „Die Unternehmen leiden unter steigenden Kosten, der Druck auf die Renditen ist dadurch hoch. Zudem ist die Investitionsbereitschaft der Unternehmen gering.“
Nur 39 Prozent oder 1,51 Millionen Mittelständler haben Investitionsprojekte umgesetzt. Das sind genauso viele wie ein Jahr zuvor, ein Wert nahe dem Allzeittief. Als die größten Hemmnisse für Investitionen nennen die Mittelständler hohe Preise für Energie, Material und Löhne, die allgemeine Konjunkturflaute sowie die Unwägbarkeiten der Handelspolitik der US-Regierung. Dazu kommt eines der drängendsten wirtschaftspolitischen Themen aus Sicht des Mittelstands: Bürokratieabbau. Im Schnitt rund sieben Prozent der Arbeitszeit von Beschäftigten beziehungsweise 32 Stunden im Monat gehen für bürokratische Prozesse drauf.
„Die Unternehmen brauchen endlich Planungssicherheit, praxistaugliche Regeln und eine Reduktion auf das Nötigste“, heißt es denn auch in einem offenen Brief an EU- und Bundespolitik. Hintergrund ist das Abstimmungsergebnis des Europaparlaments zum EU-Lieferkettengesetz. Ein Kompromiss zur Abschwächung des EU-Lieferkettengesetzes ist vor gut zwei Wochen vorerst geplatzt. Damit muss das Parlament im November erneut über den Inhalt des Vorhabens abstimmen. In dem Brief der Verbände heißt es, der dringend erwartete Bürokratieabbau in der Europäischen Union dürfe nicht erneut verzögert werden.
Neben dem Lieferkettengesetz geht es auch um die sogenannte Nachhaltigkeitsberichterstattung. „Die Erwartung der Wirtschaft an die europäische Politik ist klar: Bürokratieabbau darf kein Lippenbekenntnis bleiben, sondern muss entschlossen umgesetzt werden“, heißt es in dem Brief unter anderem von der Stiftung Familienunternehmen und Politik, Gesamtmetall, dem Chemieverband VCI und dem Logistikverband BGA.
Die Hoffnung auf Besserung lassen sich die Firmenchefs in Bayern nicht nehmen: Im Handwerk gaben 79 Prozent der Befragten an, sie rechneten in den kommenden Monaten mit besseren oder zumindest gleichbleibenden Geschäften, das sind laut BHT immerhin drei Prozentpunkte mehr als vor Jahresfrist. Der Anteil der Betriebe mit rückläufigem Neugeschäft ging laut der Umfrage unter 2100 bayerischen Betrieben ebenfalls um 3 Prozentpunkte auf 13 Prozent zurück. Dennoch mahnt Peteranderl: „Ohne Reformen kann kein selbsttragender Aufschwung entstehen.“COM, DPA