Die Westbahn lobt Preis, Qualität und Lieferzeiten der neuen Züge von CRRC. © Andreas Stroh/Imago
Wien – Ein relativ kleiner Auftrag hat die europäische Eisenbahn-Industrie in Aufruhr versetzt: Die Wiener Westbahn steht kurz davor, vier Züge des chinesischen Herstellers CRRC (China Railway Rolling Stock Corporation) in Empfang zu nehmen, und zwar zur Miete über zehn Jahre. Das Volumen: Mit 70 Millionen Euro vergleichsweise klein.
Der Aufschrei aber war groß: Es sei „einer der ersten Einsätze von chinesischem Rollmaterial im Personenschienenverkehr in der EU“ und ein „Dammbruch, der eine österreichische Schlüsselindustrie, Zukunftsarbeitsplätze und die Krisenfestigkeit der Eisenbahn gefährdet“, zitiert etwa der „Standard“ die Arbeiterkammer Wien, die Vertretung der örtlichen Unternehmen. „Im Gegensatz zu anderen Verkehrsträgern haben wir im Bereich der Eisenbahnindustrie in der EU noch die Technologieführerschaft. Diese durch Billiganbieter zu gefährden, wäre industrie- und beschäftigungspolitisch kurzsichtig“. Laut „Standard“ arbeiten 34 000 Menschen in Österreich in der Bahnindustrie. Auch in Bayern sind Züge ein Geschäft, Siemens hatte erst im Juli 250 Millionen Euro in seine Münchner Zug-Fertigung investiert. Allein dort arbeiten 2500 Menschen.
Die Befürchtungen richten sich vor allem auf die chinesische Subventionspraxis. Denn laut einer OECD-Analyse erhielt CRRC zwischen 2016 und 2020 stolze 72 Prozent aller staatlichen Subventionen für Bahnunternehmen – und zwar weltweit. Damit werde die europäische Konkurrenz um bis zu 30 Prozent unterboten. Der Umsatz von CRRC ist laut „Standard“ etwa so hoch wie der der europäischen Platzhirsche Siemens, Alstom und Stadler zusammen.
Deshalb blickt auch die EU-Kommission mit Argusaugen auf die Ausbreitung des Konzerns. Erst im Februar 2024 wurde ein Verfahren eingeleitet, weil CRRC auf einen Auftrag in Bulgarien geboten hatte. Rechtsgrundlage bildete die neue Foreign Subsidies Regulation, ein Gesetz, das europäische Anbieter vor subventionierter Konkurrenz schützen soll. Zur Anwendung kam das Gesetz aber nicht, CRRC zog sich freiwillig aus Bulgarien zurück. Seit letzter Woche prüft die EU einen Fall am anderen Ende Europas: In Lissabon will CRRC mithelfen, eine neue U-Bahn-Linie aufzubauen. Auch hier begleitet von Protesten.
Die Westbahn indes verteidigt ihr Vorgehen mit Verweis auf die angespannte Liefersituation: „Derzeit gibt es keinen funktionierenden Wettbewerb in der europäischen Bahnindustrie“, heißt es in einer Stellungnahme, die unserer Zeitung vorliegt. Schuld sei ein Oligopol der Europäer, gemeint sind Siemens, Alstom und Stadler. „Neue Züge sind kaum verfügbar, denn die Wartezeiten betragen mittlerweile viele Jahre. Gleichzeitig explodieren Preise, während individuelle Wünsche und Innovationen bei Ausstattung oder Qualität kaum umsetzbar sind.“ Die Westbahn reagierte damit offenbar auf die Kritik der Arbeiterkammer: „Vier Züge – oder selbst vierzig – sind angesichts eines europäischen Gesamtmarkts mit tausenden Fahrzeugen völlig unbedeutend.“MAS