Ihr Kampf gegen die Finanz-Mafia

von Redaktion

Ex-Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker. © Carsten Koall/dpa

Als Staatsanwältin deckte sie den Cum-ex-Finanzbetrug auf, jetzt kämpft sie mit dem Verein Finanzwende dafür, dass es Wirtschaftskriminellen nicht so leicht gemacht wird. In dem Buch „Cum-ex, Milliarden und Moral“ beschreibt Anne Brorhilker ihren Kampf gegen die mächtige Finanz-Mafia.

Rund 100 Milliarden Euro entgehen dem Staat laut Schätzung durch Steuerhinterziehung. Was müsste passieren, damit dieses Geld in Schulen oder Kindergärten fließen kann?

Diese 100 Milliarden beziehen sich auf eine Dunkelfeldschätzung. Das bedeutet, wir wissen nicht so ganz genau, wie viel uns da abhandenkommt, weil wir viele Taten gar nicht sehen. Dieses Entdeckungsrisiko müssten wir erhöhen. Das erreicht man, indem man die Justiz, die Finanzverwaltung mit der Steuerfahndung und die Polizei, die alle an ähnlichen strukturellen Problemen leiden, stärkt: Im Bereich der Wirtschaftskriminalität wird viel zu wenig Personal eingesetzt. Zudem wird das Personal üblicherweise in Behörden schnell ausgetauscht. Bei großen, komplizierten Fällen stört das aber den Aufbau der erforderlichen Fachexpertise. Zudem ist die technische Ausstattung bei Behörden veraltet und Behörden sind untereinander kaum vernetzt.

„Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“, sagten Sie beim Abschied aus dem Staatsdienst. Wie gefährlich ist das für die Demokratie?

Das ist ein großes Problem für den Rechtsstaat, dessen zentrales Prinzip es ja ist, dass wir vor dem Gesetz alle gleich sind. Wenn der Staat aber strukturell nur in der Lage ist, sich mit denen anzulegen, die sich nicht wehren können, dann schaffen wir es nicht, das Recht gleichmäßig anzuwenden. Ab und zu kriegt man auch mal die Großen dran, das haben wir ja mit Cum-ex gezeigt. Dafür müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Als wir in Nordrhein-Westfalen den Justizminister Biesenbach hatten, der sich ganz besonders für die Cum-ex-Aufklärung eingesetzt hat, bekamen wir die technische Ausstattung und die Kräfte, die für diese komplexen Ermittlungen nötig waren. Dank dieser verbesserten Rahmenbedingungen hatten wir Erfolg.

Hat der Staat Konsequenzen aus dem Cum-ex-Skandal gezogen?

Die Sensibilität hat zugenommen, immerhin. Bevor die Staatsanwaltschaft hinter die Kulissen geguckt hat, wussten wir alle nicht viel über diese Art der Wirtschaftskriminalität. Deswegen haben so viele den verharmlosenden Erzählungen Glauben geschenkt, dass es nur um eine kleine Gruppe schwarzer Schafe geht, die Steuerschlupflöcher nutzte. Wie sich später rausgestellt hat, gab es aber eine ganze professionelle Cum-ex-Industrie. Und es ging auch nicht um Gesetzeslücken, sondern um Straftaten. Unser Protest von Finanzwende hat dazu geführt, dass letztes Jahr Finanzminister Lars Klingbeil die bereits beschlossene Verkürzung der Aufbewahrungsfristen wieder zurückgedreht hat. Das und die verlängerten Verjährungsfristen sind für komplexe Ermittlungen enorm wichtig, damit Wirtschaftskriminelle nicht ungeschoren davonkommen.

Wie hoch ist der Schaden, der durch Cum-ex-Geschäfte entstanden ist?

Allein für Deutschland gibt es die Schätzung von Professor Spengel von der Uni Mannheim, wonach zwischen 2001 bis 2020 dem Staat durch Cum-ex rund zehn Milliarden und durch die verwandten Cum-Cum Geschäfte noch mal 30 Milliarden Euro durch die Lappen gegangen sind. Dabei hat er extrem vorsichtig geschätzt. Ich würde eher denken, nachdem, was uns die ganzen Kronzeugen erzählt haben, dass der Schaden viel höher ist. Wir sind nicht stark genug, alle Fälle zu entdecken und das Dunkelfeld aufzuhellen.

Haben sich die weltweit vernetzten Steuervermeider nach Cum-ex schon neue Tricks einfallen lassen?

Wir haben bei der Staatsanwaltschaft Köln Wertpapierhändler aus London und aus den USA vernommen, die uns geschildert haben, dass sie das weltweit im großen Maßstab machen und sogar extra für derartige kriminelle Geschäfte eingestellt worden sind. Die haben uns ganz viele Tricks und auch ganz viele Anpassungen an neue Gesetze geschildert. Deshalb ist davon auszugehen, dass das weiter gemacht und wahrscheinlich schon wieder weiterentwickelt worden ist.

Etliche Stellen im Buch sind geschwärzt. Gab es da Klagen?

Das habe ich selbst geschwärzt. Ich wollte deutlich machen, dass ich immer noch an die dienstliche Verschwiegenheitspflicht gebunden bin, auch nach dem Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis. Und ich darf nur über Dinge berichten, die auch öffentlich schon bekannt sind. Aber es gibt natürlich viele Interna, die noch nicht bekannt sind und über die ich nicht sprechen darf.

Auch der spätere Kanzler Olaf Scholz geriet in den Sog der Cum-ex-Ermittlungen. Wie stark war da der Druck von oben?

Das sind so Dinge, die sich in den Schwärzungsblöcken wiederfinden. Ich darf nicht darüber sprechen, ob ich unter Druck gesetzt worden bin oder nicht.

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