Künstliche Intelligenz ist das Zauberwort an den weltweiten Aktienmärkten. Doch ist der Hype nachhaltig? Experten sind sich uneins. © SPENCER PLATT, getty images via afp
München – Martin Lück war fast neun Jahre lang Kapitalmarktstratege beim Vermögensverwalter Blackrock in Deutschland. Im Jahr 2024 machte er sich mit dem Beratungsunternehmen MacroMonkey selbstständig, seit November arbeitet er für das Investment-Haus Franklin Templeton. Wir sprachen mit ihm über die Zuversicht am Aktienmarkt – und einen möglichen Kollaps des Marktes.
Die Börse in New York meldet Höchststände, auch der Dax bewegt sich auf Rekordniveau. Können Anleger auf weitere Kursgewinne hoffen?
Kurzfristig gesehen mag das der Fall sein. Am Markt herrscht die Erwartung, dass die US-Notenbank die Zinsen im kommenden Jahr weiter senken wird. Mittelfristig ist aber Vorsicht geboten, da unklar ist, ob die Zentralbank wirklich liefert.
Warum zweifeln Sie daran? US-Präsident Donald Trump übt großen Druck auf die Fed aus, die Zinsen zu senken – und die US-Inflationsrate in den USA hat sich stabilisiert.
Die Inflationsdaten, die im Moment ausgewiesen werden, könnten sich aber als der falsche Indikator herausstellen.
Warum?
Weil die Zahlen nur eine Gegenwartsbetrachtung sind. In Zukunft wird die Inflation in den USA stark steigen, da Zölle die Importe verteuern. Anleger sollten auch nicht vergessen, dass die US-Wirtschaft im Moment womöglich viel schwächer ist als sie nach außen scheint.
Womit hängt das zusammen?
Weil das Wachstum in den USA eng mit dem KI-Boom verknüpft ist – rund um Firmen wie Google, Microsoft, Amazon oder Nvidia. Damit hängt auch der Aktienmarkt am Gängelband von ein paar wenigen Unternehmen. Gemessen an der weltweiten Marktkapitalisierung liegt das Gewicht der großen amerikanischen Tech-Firmen inzwischen bei einem Fünftel. Hier besteht ein gigantisches Konzentrationsrisiko, da sich die Frage stellt: Ist KI wirklich der große Gamechanger?
Immerhin werden rund um den Globus gigantische Rechenzentren gebaut, für die Stromversorgung werden stillgelegte Atomkraftwerke reaktiviert, Chiphersteller wie Nvidia fahren Milliardengewinne ein.
Das stimmt. Seit dem Beginn des KI-Hypes vor drei Jahren wurden gigantische Investitionen getätigt. Nur wissen wir nicht, ob sich diese Investitionen eines Tages auch rechnen werden. Hinzu kommt ein Zirkelrisiko.
Das heißt?
Zwischen Nvidia, OpenAI, Microsoft und noch ein paar anderen Firmen ist ein enges und intransparentes Geflecht an Geschäftsbeziehungen entstanden. Der eine kauft Chips beim anderen und bekommt im Gegenzug Geschäftsanteile – immer verbunden mit der Hoffnung, dass sich die KI-Investitionen irgendwann auszahlen.
Was sind die Folgen?
Das Enttäuschungspotenzial ist riesig. In dem Moment, wo die Märkte anfangen, den Daumen zu senken, werden ganze Produktionsketten implodieren. Dann geht nicht nur irgendein Chiphersteller Pleite, dann brechen ganze Branchen zusammen, die rund um diesen KI-Boom aufgebaut wurden. Das wäre der ultimative Gau für die Aktienmärkte.
Das Szenario, dass die KI-Blase bald platzt, geistert seit Monaten umher – bisher ist der große Crash ausgeblieben.
Weil niemand auf mögliche Kursgewinne verzichten möchte. Würden Investoren jetzt aussteigen, müssten sie womöglich damit leben, die nächste Aufwärtsphase zu verpassen. Jeder hat die Hoffnung, noch rechtzeitig auszusteigen.
Das große Risiko für die Märkte ist also nicht Trump, sondern der KI-Boom?
So würde ich es nicht formulieren. Beides ist eng miteinander verquickt. Anders als früher, ist der Staat in den USA heute kein Schiedsrichter mehr.
Sondern?
Der Staat ist selbst zu einem Spieler geworden, und die Regierung versucht, sich maximal selbst zu bereichern. Man muss sich einmal vorstellen, dass sich Trump über 200 Millionen Dollar vom Justizministerium, das er jetzt selbst kontrolliert, auszahlen lassen möchte, für angeblich erlittene Schäden aufgrund von falschen Untersuchungen während der vorigen Präsidentschaft. Das ist kriminell. In den USA sind sämtliche Dämme gebrochen.
Und die Tech-Branche?
Sie zählt zu den großen Unterstützern dieses Systems. Auch wenn Elon Musk inzwischen eine geringere Rolle spielt: Einige der Hauptunterstützer für Trump, allen voran Peter Thiel, kommen aus dem Silicon Valley. Viele der dortigen Unternehmer kriechen vor Trump, obwohl sie ihn innerlich verachten. Durch diesen Opportunismus all derer, die von Trump profitieren, geht jegliche Kontrolle verloren. Die Governance der größten Volkswirtschaft der Welt wird besorgniserregend schlecht. Kommt es nun zum Crash an den Aktienmärkten, könnten die USA diesmal – anders als in früheren Krisen – als sicherer Hafen ausfallen. Der Dollar und amerikanische Staatsanleihen sind keine Alternative mehr.
Was bedeutet das für Kleinanleger?
Wer an den großen Segnungen der KI zweifelt und diese Wette nicht mitmachen möchte, sollte den Technologiesektor in seinem Portfolio weniger gewichten. Das gilt auch für ETFs auf den MSCI World, in dem die Tech-Konzerne aus den USA ein großes Gewicht einnehmen.
Wo könnte man sein Geld stattdessen investieren?
Beispielsweise in europäische Unternehmen mit Substanz, die regelmäßig Dividenden ausschütten. Auch die Verteidigungsindustrie bleibt interessant. In Vergessenheit geraten sind auch nachhaltige Anlagen. Wenn angesichts des Klimawandels die Extremwetterereignisse weiter zunehmen, werden die Branchen mit grüner Technologie wieder zurückkommen. Chancen für Anleger gibt es nach wie vor.