Bundeswirtschaftsministerin Reiche (Mitte) zu Besuch bei Infineon. Die Wirtschaft soll unter anderem durch staatliche Investitionen wieder wachsen. © Sebastian Kahnert, Archiv, dpa
Berlin/München – Drei Krisenjahre in Folge, miese Stimmung bei vielen Unternehmen, mehr Pleiten: Die deutsche Wirtschaft steckt in der Flaute. Die nüchterne Bilanz der vergangenen drei Jahre: gerade einmal zwei Quartale mit Wachstum. Auch die Politik der schwarz-roten Koalition hat bisher nicht für einen Stimmungsumschwung gesorgt. Kommt 2026 der Aufschwung?
■ Konjunktur
Die gute Nachricht: Es soll bergauf gehen. Allerdings nur etwas. 0,9 bis 1,3 Prozent Wachstum wird je nach Prognose erwartet – wobei viel Unsicherheit bleibt. Deutschlands führende Wirtschaftsforschungsinstitute warnten im September anlässlich ihrer Gemeinschaftsdiagnose: Die deutsche Wirtschaft stehe nach wie vor auf „wackeligen Beinen“. Getrieben werden dürfte das Wachstum 2026 maßgeblich durch Sondereffekte: staatliche Milliardenausgaben für Infrastruktur wie Straßen und Schienen sowie für Verteidigung. Zudem fallen mehr Feiertage auf ein Wochenende, sodass es 2026 mehr Arbeitstage gibt. Andreas Rees, Chefvolkswirt der Hypovereinsbank, will für 2026 noch nicht von einem Aufschwung sprechen. „Ich glaube aber, dass 2026 das Jahr markiert, in dem Deutschland zu einem moderaten, aber nachhaltigen Wachstum zurückkehrt.“ Ein Hoffnungsträger für das kommende Jahr ist der Bau: „Der Wohnungsbau wird einer der großen Wachstumstreiber 2026“, so Rees, „wir sehen das mittlerweile an den Baugenehmigungen.“
■ Export
Die aggressive Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump trifft eine ohnehin geschwächte Exportnation Deutschland. Maschinenbau, Chemie, Elektro: Seit Jahren verlieren deutsche Hersteller auf den Weltmärkten an Wettbewerbsfähigkeit. „Die deutschen Exportmarktanteile sanken seit 2017 und entwickelten sich im internationalen Vergleich seit 2021 besonders schwach“, analysierte die Bundesbank im Sommer. Der Befund ist umso alarmierender, da fast jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland vom Export abhängt. Schon 2024 wurden weniger Waren „Made in Germany“ ins Ausland verkauft als ein Jahr zuvor. Für das laufende Jahr prognostiziert der Außenhandelsverband BGA 2,5 Prozent Rückgang. Und die Aussichten sind trüb: „Viele der neuen US-Zölle sind so hoch, dass Geschäfte schlichtweg unmöglich werden – für zahlreiche deutsche Exporteure bedeutet das faktisch den Verlust des US-Marktes“, sagt der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel (BGA), Dirk Jandura. Andreas Rees blickt aktuell optimistisch auf die Bereiche Elektrotechnik, -ausrüstung und teilweise Maschinenbau. Kritischer sei die Lage in der Auto- und der Chemieindustrie. „Aber auch hier passiert ja etwas. Wir haben in Deutschland viele Hidden Champions, die aktuell unter Druck stehen, aber an Lösungen arbeiten.“ Riskant bleibe, dass Europa in der Sandwich-Position zwischen den USA und China stecke. „Durch die US-Zölle wird China mehr Waren nach Europa schicken wollen. Wenn die EU mit Zöllen reagiert, könnte das gefährlich werden.“
■ Investitionen
Die zusätzlichen staatlichen Milliardeninvestitionen für die Infrastruktur könnten nach Einschätzung von Ökonomen für weniger Rückenwind sorgen als erhofft. Einschätzungen des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zufolge fließen von den bis 2029 vorgesehenen 271 Milliarden Euro im Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität rund 133 Milliarden in bereits geplante Maßnahmen. HVB-Chefvolkswirt Rees glaubt aber, dass sich die Wirkung vor allem nach 2026 zeigt: „Der ökonomische Erfolg wird nicht über Nacht kommen. 2027, 2028 und 2029 wird der Impuls größer sein.“ Der Grund: Viele Projekte müssen noch angeschoben werden. In den kommenden Jahren seien Wachstumsraten zwischen 1 und 1,25 Prozent möglich. 2027 – durch das Sondervermögen – sogar 1,9 Prozent.
■ Arbeitsmarkt
Gestiegene Preise für Lebensmittel und Dienstleistungen bremsen den privaten Konsum. Das könnte auch Arbeitsplätze kosten: Vor allem im Einzelhandel stieg zuletzt der Anteil der Unternehmen, die ihre wirtschaftliche Existenz akut bedroht sehen, wie eine Umfrage des Ifo-Instituts ergab. Der Arbeitsmarkt ist ohnehin unter Druck. In wichtigen Branchen wie der Automobilindustrie wurden binnen eines Jahres fast 50 000 Jobs gestrichen. Allerdings betont HVB-Chefvolkswirt Andreas Rees: „Durch den Stellenaufbau in anderen Sektoren bleibt die Zahl der Arbeitsplätze unterm Strich stabil.“ Zudem sind die Löhne real gestiegen.A. HOENIG UND M. SCHNEIDER