Interview

„Selbst das Mini-Wachstum ist erkauft“

von Redaktion

Ifo-Chef Fuest: Bisherige Reformen eher hinderlich

Clemens Fuest ist Präsident des Münchner ifo-Instituts. © marcus schlaf

München – Die deutsche Wirtschaft wird nach Einschätzung des Münchner ifo-Instituts nur langsam aus der Krise finden. Für 2026 und 2027 erwarten die Konjunkturforscher nur noch ein Wachstum von 0,8 und 1,1 Prozent – das ist deutlich weniger, als noch im Herbst vorhergesagt. Dieses Jahr dürfte die Wirtschaft mit plus 0,1 Prozent de facto stagnieren. Wir sprachen mit ifo-Präsident Clemens Fuest über die Folgen.

Deutschland hat Jahre der Rezession und Stagnation hinter sich, für 2026 prognostizieren Sie immerhin 0,8 Prozent Wachstum. Ist das jetzt eine gute oder eine schlechte Nachricht?

Es ist positiv, dass Deutschland überhaupt zu Wachstum zurückkehrt. Aber es ist sehr niedrig – und es ist zu einem hohen Preis erkauft.

Wodurch?

Durch eine sehr hohe Neuverschuldung. Bei einem solchen Niveau der Verschuldung sollte man erwarten, dass das Wachstum stärker anspringt. Aber das Problem ist: der Staat expandiert und der private Sektor schrumpft. Deshalb bleibt unterm Strich nicht viel übrig.

Bundeskanzler Friedrich Merz hatte einen „Herbst der Reformen“ angekündigt – große Strukturreformen blieben trotzdem aus. Was ist schiefgelaufen?

Die Bundesregierung hat sich offenbar nicht auf Reformen einigen können, die wirklich auf das Wachstum einzahlen. Zwar ist einiges unternommen worden, aber bei der wichtigsten Entscheidung, dem Rentenpaket, kam im Wesentlichen he–raus, dass künftige Bundeshaushalte stärker belastet werden – und zwar mit 20 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr.

Was ist die Konsequenz?

Dass in Zukunft Steuererhöhungen zu erwarten sind. Das schreckt Investoren ab. Das heißt, die Reformen haben per Saldo das Wachstum eher reduziert als es erhöht. Das ist das Problem.

Welche Stellschrauben hätte die Bundesregierung, um das Wachstum kurzfristig anzukurbeln?

Beispielsweise durch die Beschleunigung von Infrastrukturprojekten. Es gibt ja ein Infrastrukturpaket, um mit Schulden etwa in Bahnstrecken oder Autobahnen zu investieren. Der Sanierungsbedarf ist da, das Geld ist da, nur hätte man gleichzeitig auch die Genehmigungsverfahren und die Planungsverfahren beschleunigen müssen – aber das ist die Bundesregierung erst spät angegangen.

Ist der Gedanke nicht naiv, von Deutschland ausgerechnet bei den Genehmigungen Tempo zu erwarten?

Wir haben beim Bau der Gas-Terminals gesehen, wie schnell etwas gehen kann, wenn der politische Wille da ist. Dieses Tempo hätte man jetzt auf die Sanierungsprojekte im Schienen- und Straßenverkehr übertragen können.

Wie könnte Deutschland langfristig auf einen Wachstumspfad zurückfinden?

Wir brauchen einen „Frühling der Reformen“, wenn schon der „Herbst der Reformen“ nicht geklappt hat. Die Bundesregierung muss eine durchdachte Gesamtstrategie vorlegen, die an drei Punkten ansetzt: Erstens Arbeitsmarkt, zweitens Investitionen und drittens Innovationen.

Das klingt jetzt sehr abstrakt, Herr Fuest.

Nehmen wir einmal den Arbeitsmarkt: Nach wie vor ist es so, dass sich für viele Bezieher der Grundsicherung nicht lohnt, arbeiten zu gehen.

Sie wollen, dass die Bezieher von Grundsicherung weniger Geld bekommen?

Nein, genau das möchte ich nicht. Ich möchte aber, dass etwa die Bezieher von Grundsicherung, die keine Kinder haben, mehr Anreize haben, arbeiten zu gehen und Wohngeld und Grundsicherung besser abgestimmt werden. Wir haben das einmal ausgerechnet: Gäbe es hier eine Reform, könnte man 150 000 Arbeitsplätze dazugewinnen und der Staat würde um fast fünf Milliarden Euro entlastet.

Die Bürgergeldreform hat gar nichts gebracht?

Die Bürgergeldreform geht in die richtige Richtung, aber das kann man besser machen. Sanktionen sind das eine, aber man muss darüber hinaus alles ausschöpfen, was möglich ist, um die Menschen in Arbeit zu bringen. Eine weitere Arbeitsmarktreform wäre eine Lockerung des Kündigungsschutzes.

Mit welchen Folgen?

Könnten Start-ups ihr Personal einfacher entlassen, gäbe es mehr Gründungen. Gleiches könnte für etablierte Unternehmen gelten, die Geld in eine neue Technologie investieren: Für diesen neuen Teilbereich des Unternehmens könnte ein gelockerter Kündigungsschutz gelten, die Folge wären mehr Investitionen.

Und für diese Beschäftigten gilt dann amerikanisches „hire and fire“?

Nein, kein „hire an fire“, denn in den USA gibt es nach einer Entlassung praktisch keine soziale Absicherung. Eher ein Modell wie in Dänemark: Dort ist der Kündigungsschutz lockerer, im Fall der Arbeitslosigkeit ist man aber gut abgesichert.

Wie kurbelt man Investitionen noch an?

Indem man die Steuern- und Abgabenlast senkt und Bürokratie abbaut. Wir haben nach wie vor jede Menge überflüssige Berichtspflichten, Nachhaltigkeitsberichterstattung, Lieferkettenberichterstattung, und so weiter. Wir haben ausgerechnet, dass ein Bürokratieabbau vier Prozent an zusätzlicher Wirtschaftsleistung bringen würde – das wären knapp 150 Milliarden Euro pro Jahr.

Die Forderung nach Bürokratieabbau ist nichts Neues. Jede Bundesregierung verspricht, genau das zu tun – und trotzdem geschieht nichts. Warum ist das so?

Weil es beispielsweise auch Branchen gibt, die von Bürokratie profitieren.

Das klingt widersprüchlich.

Ich habe regelmäßig in parlamentarischen Anhörungen erlebt, dass da Leute sitzen, für die mehr Bürokratie eine wunderbare Sache ist. Manche Unternehmen leben davon, Dinge zu dokumentieren und zu kontrollieren. Es hat sich eine regelrechte Zertifizierungsindustrie entwickelt, die zu einem erheblichen Teil überflüssig ist. Aber diese Firmen können auch Druck auf die Politik ausüben.

Neben Arbeitsmarktreformen und mehr Investitionen fordern Sie auch mehr Innovationen. Wie könnte das gelingen?

Wir müssen bei den Universitäten anfangen. Hier muss unternehmerisches Denken gefördert werden. München ist da eine Ausnahme, hier hat sich rund um TU, LMU und die von Susanne Klatten geförderte Initiative UnternehmerTUM ein Ökosystem für junge Firmen entwickelt. Heute ist München der Innovationsstandort Nummer eins in Deutschland. Wenn ganz Deutschland so wäre wie München, dann hätten wir keine Probleme. Der Marktwert des Münchner Start-ups Celonis liegt inzwischen bei über zehn Milliarden Euro – es ist damit mehr wert als die gesamte deutsche Stahlindustrie.

Es gibt auch Probleme, die kann die Regierung gar nicht lösen: Die USA verlangen unter Trump hohe Zölle, Russland führt unter Putin einen hybriden Krieg gegen Europa.

Es war schon immer so, dass die Entwicklung in Deutschland stark an die Weltwirtschaft gekoppelt ist. Das gilt im Guten wie im Schlechten, und jahrelang haben wir davon profitiert. Wichtig ist, dass man in der aktuellen Lage nicht resigniert, sondern reagiert und die nötigen Reformen anpackt, damit die Wirtschaft wieder wächst.

Bisher hat Russland versucht, die EU zu schwächen, jetzt wollen auch die USA einen Keil in die EU treiben, indem sie rechte Kräfte stärken. Was wären die ökonomischen Folgen?

Natürlich haben gewisse Kräfte im Ausland immer ein Interesse daran, uns auseinander zu dividieren, nach dem Motto: „teile und herrsche“. Wir haben ja auch ein Interesse daran, dass China und Russland nicht eng kooperieren. Es wäre aber ein Riesenfehler, wenn sich die Europäer jetzt dazu drängen lassen, die EU aufzugeben. Der Binnenmarkt ist quasi unsere Wachstumsmaschine. Leider hat uns die EU in den vergangenen fünf Jahren mit vielen unsinnigen Regulierungen überzogen – das war der falsche Weg. Stattdessen müssen wir die Wachstumsmaschine Binnenmarkt stärken. Deutschland sollte als größtes EU-Mitglied daher alles unternehmen, Europa zusammenzuhalten.

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