Brüssel – In den Sozialen Netzwerken ließ Hubert Aiwanger nach den Verbrenner-Vorschlägen aus Brüssel seiner Wut freien Lauf: Ein „schlechter Scherz“ seien die Pläne, die EU wolle die deutsche Industrie zerstören, wetterte Bayerns Wirtschaftsminister. „Armes Deutschland“, diesen „Irrsinn“ hätten auch noch EVP-Chef Manfred Weber (CSU) und Ursula von der Leyen federführend zu verantworten. „Das kann doch nicht das letzte Wort gewesen sein. Ihr seid doch von allen guten Geistern verlassen“, so der Chef der Freien Wähler.
Aiwangers Wutrede ist nur ein kleiner Auszug der Kritik. Es wirkt fast, als hätte die EU-Kommission gerade das Verbrenner-Aus erdacht – dabei will sie genau dieses wieder aufweichen. Sie schlägt vor, die Flottenemissionen nur um 90 Prozent zu senken und Kompensationen durch E-Fuels und grünen Stahl zuzulassen. Außerdem möchte sie Gutschriften für kleine E-Fahrzeuge und Grenzwerte für Fahrzeugflotten (siehe Kasten). „Ein Sammelsurium von Boni, Subventionen, Rechen-Tricks und Protektion“, findet der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer vom CAR-Center in Bochum. Man hätte den Autobauern auch einfach Geld in die Hand drücken können, das wäre transparenter gewesen.
Dennoch geht der Branche und ihren Lobbyverbänden die Rückabwicklung des Verbrenner-Aus nicht weit genug. Bertram Brossardt, Chef der Arbeitgeberverbände in Bayerns Metall- und Elektroindustrie, zu der auch die Autobauer und ihre Zulieferer gehören, sprach sich am Mittwoch für einen umfangreicheren Weiterbetrieb von Verbrennern aus. „Benziner und Diesel sind noch nicht ausentwickelt“, sagte er. Auch E-Fuels habe die EU bisher nicht ausreichend berücksichtigt. Und bei grünem Stahl sei völlig unklar, woher der kommen werde und zu welchem Preis. Zuvor hatte Brossardt berichtet, dass in Bayerns Autoindustrie die Hälfte aller Firmen trotz etwas besserem Ausblick Stellen abbaue.
Ähnlich sieht es Hildegard Müller, Chefin des Autoverbandes VDA. Sie bemängelte, dass unklar sei, wie viel grüner Stahl und wie viel Biokraftstoffe oder E-Fuels künftig verfügbar seien. „Unsere Industrie ist – wie schon bei der Ladeinfrastruktur – auf Entwicklungen angewiesen, die sie nicht beeinflussen kann.“ Gleichzeitig forderte Müller den uneingeschränkten Verkauf von rein mit E-Fuels betriebenen Verbrennern – ein logischer Widerspruch. Besonders ärgert Müller aber die geplante Pflicht, Dienstwagen und große Fahrzeugflotten bis 2035 in Deutschland fast komplett zu elektrifizieren. Das sei „völlig realitätsfern“. Das Aus für das Verbrenner-Aus sei „mit so vielfältigen Hürden versehen, dass es droht, in der Praxis wirkungslos zu bleiben.“
Doch es gibt auch Gegenstimmen. Den Plan, kleine Elektrofahrzeuge durch Anrechnung zu fördern – von Aiwanger als „Trabiprämie“ geschmäht –, begrüßt vor allem der Autobauer Volkswagen. Moritz Kronenberger von der Fondsgesellschaft Union Investment erklärt, warum: Werde ein VW ID.Polo so bevorzugt berechnet, könne der VW-Konzern gleichzeitig „weiter teure Porsche, Lamborghinis oder Bentleys mit Verbrennermotoren verkaufen.“ Die IG Metall hält die EU-Vorschläge insgesamt für richtig und sieht nun die Autobauer in der Pflicht: „Es gibt jetzt keine Ausreden mehr“, sagt die Gewerkschafts-Chefin Christiane Benner.
Worin sich alle einig sind: Die EU hat mal wieder ein echtes „Bürokratiemonster“ erschaffen. Das sehen auch die Grünen im Europaparlament so. Sie halten das Aus für das Verbrenner-Aus für einen Fehler, weil es den Klimaschutz aufweicht und die deutsche Autoindustrie bei der E-Mobilität im Wettlauf mit China weiter zurückwerfen könnte. Allerdings muss das Paket noch durch EU-Parlament und EU-Rat. Die Befürchtung der Grünen: Dort könnten es die Konservativen um Manfred Weber gemeinsam mit den Rechtsextremen so verändern, dass es künftig noch mehr Schlupflöcher gibt.