Blaues Meer und Sandstrand: Viele Deutsche fahren für ihren Urlaub lieber ins Ausland. © Smarterpix
Kein Wachstum, Jobabbau und sehr viel Gejammer: Die deutsche Wirtschaft steckt nun schon seit drei Jahren in der Krise. In einem Wirtschaftszweig stehen die Zeichen jedoch scheinbar unverwüstlich auf Wachstum: Die Deutschen reisen gerne und viel. Gemeinsam kamen sie letztes Jahr laut Statistischem Bundesamt auf rund 68 Millionen Urlaubsreisen. Auch im internationalen Vergleich zählen wir zu den reisefreudigsten Völkern: Nach den USA und China zählt die Bundesrepublik zu den Ländern mit den höchsten Tourismusausgaben, nämlich im Schnitt 1 300 Euro pro Person und Reise, ermittelte die Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen. „Die Deutschen wollen reisen und sie reisen auch“, frohlockt der Deutsche Reiseverband.
Doch die Sache hat einen Haken, erklärt Robin Winkler, Chefvolkswirt der Deutschen Bank. „Die Deutschen geben mittlerweile rund 100 Milliarden Euro im Jahr für Auslandsreisen aus“, konstatiert er. Im Jahr 2019, also vor der Covid-Pandemie, seien es noch 75 Milliarden Euro gewesen. Das Problem dabei aus seiner Sicht: Ausländische Gäste geben hierzulande deutlich weniger aus, nämlich nur etwa 35 Milliarden Euro im Jahr. „Anders gesagt: Wegen der deutschen Reiselust fließt immer mehr Kaufkraft ins Ausland ab“, analysiert der Volkswirt.
Die nackten Zahlen bestätigen Winkler. Mittlerweile gehen 76 Prozent der Reisen der Bundesbürger in Orte außerhalb Deutschlands, deutlich mehr als noch vor zehn Jahren. Flugpauschalreisen ans Mittelmeer und zu den Sonnenzielen auf der Fernstrecke sind – neben Kreuzfahrten – im Moment die Renner. Laut Reiseanalyse planten 39 Prozent der Deutschen im laufenden Jahr eine mindestens fünftägige Reise ins europäische Ausland. Damit gerate die Freude der Deutschen an exotischen Landschaften und südlicher Sonne sogar zum Wachstumshindernis.
Besonders gut ablesbar ist das nach Ansicht des Deutsche-Bank-Ökonomen am unaufhörlichen Wachstum von Dienstleistungen, die aus dem Ausland bezogen werden. Eine genauere Aufschlüsselung zeige, dass der auffälligste Faktor die Tourismusimporte sind, also die Tourismusausgaben im Ausland: „Während die strukturellen Wettbewerbsnachteile des industriellen Exportmodells sicherlich die eigentliche Ursache für das Wachstumsdilemma sind, ist die deutsche Nach-Pandemie-Reiselust vielleicht ein unterschätzter Wachstumshemmfaktor“, erklärt er. Das heißt: Dass die Deutschen lieber ins Ausland reisen, hat die deutsche Wirtschaftsmisere nicht ausgelöst, das waren immer schlechtere Standortfaktoren für unsere Exportwirtschaft. Geben die Deutschen ihr Geld lieber im Ausland aus, fehle es aber in den Kassen der deutschen Hotels, Restaurants oder Einzelhändler und bremse damit die Wirtschaftsleistung in der Heimat zusätzlich.
Ob die Reiselust das Wachstum bereits bremst, ist unter Ökonomen umstritten. So verweist Michael Grömling vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln darauf, dass auch deutsche Inlandsziele gut ausgelastet zu sein scheinen. Die Inlandsproduktion werde von den Tourismusausgaben im Ausland aber nur dann negativ beeinflusst, wenn dadurch Tourismus im Inland substituiert wird, wenn die Deutschen also nur ins Ausland führen, statt in den Schwarzwald oder in die Schwäbische Alb, widerspricht er – und nicht, wenn sie sowohl ans Mittelmeer als auch an den Bodensee reisen.
Tatsächlich war das eigene Land als Reiseziel bei den Deutschen auch 2025 beliebt. Laut Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen gaben 29 Prozent der Deutschen an, dass sie auch in Deutschland Urlaub machen werden. Besonders beliebt sind Bayerns Seen und Berge, Nord- und Ostsee oder der Schwarzwald. Mit Blick auf die deutsche Wachstumsschwäche wünscht sich Winkler jedoch noch mehr Patriotismus beim Reisen – und sieht sich selbst aus Vorbild: „Für das deutsche Bruttoinlandsprodukt wäre es gut, wenn mehr Deutsche ihre Reiselust in Deutschland ausleben würden“, sagt er. „Ich persönlich kann mir nichts Schöneres vorstellen als einen Sommerurlaub in Oberbayern.“