Begegnet sind sie sich, soweit zu sehen, nie. Kurt Eisner, Revolutionär und erster Ministerpräsident des Freistaats, und Ludwig III., Bayerns letzter König, lebten in verschiedenen Welten. Und der Aufstieg des einen – Eisner – war der Untergang des anderen.
Ludwig III. galt allgemein als schwache Herrscher-Persönlichkeit. Passiv fügte er sich, als am 7. November 1918 das Ende der bayerischen Monarchie nahte. Dieser Tag ist oft beschrieben worden: Der erst Mitte Oktober aus der Haft entlassene Sozialist Eisner hatte am Nachmittag als einer der Redner an der gemeinsamen Friedenskundgebung der beiden sozialistischen Parteien und der Gewerkschaften auf der Theresienwiese teilgenommen. Anders als die SPD-Führung, die die Lage völlig verkannte, führte Eisner seine rasch auf mehrere tausend angeschwollene Anhängerschaft durch München zu den Kasernen im Stadtgebiet, wo sich die Soldaten meist, ohne auf Widerstand ihrer Offiziere zu stoßen, dem revolutionären Zug anschlossen. „Das Überrumpelungsmoment war zweifellos einer der Erfolgsgründe für das revolutionäre Unternehmen“, schreibt der Eisner-Biograf Bernhard Grau.
Am Abend des 7. November eröffnete Eisner im Landtagsgebäude die konstituierende Sitzung des spontan gebildeten Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrates – und wurde zum ersten Vorsitzenden gewählt. Im „Aufruf an die Bevölkerung Münchens“ wurde Bayern zum „Freistaat“ deklariert, in einer weiteren „Proklamation“ erschienen die legendären Sätze: „Die Dynastie Wittelsbach ist abgesetzt. Hoch die Republik!“
Am Nachmittag des 8. November wählten die Mitglieder des Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrates, die Landtagsfraktionen von SPD und Bauernbund sowie einige liberale Abgeordnete als „Provisorischer Nationalrat“ die Revolutionsregierung. Eisner übernahm das Amt des Ministerpräsidenten und Außenministers. Neben der scharf linkssozialistischen, aber kleinen USPD gehörten auch SPD-Mitglieder der Regierung an. Damit endete nach 738 Jahren die Herrschaft der Wittelsbacher.
Der Historiker Stefan März hat die ereignisreichen Stunden aus Sicht der Königsfamilie in seinem Buch „Das Haus Wittelsbach im Ersten Weltkrieg“ detailliert recherchiert. „Die königliche Familie hatte die Eskalation des 7. November 1918 unterschätzt“, schreibt er. In der nahen Residenz stand das Hofpersonal an den Fenstern und beobachtete besorgt, wie eine Parolen rufende Menschenmasse vorüberzog. Ludwig III. blieb aus Sicherheitsgründen bei zugezogenen Vorhängen im Gebäude.
Anders als sein Sohn Rupprecht, der Prinzregent, war der König unter anderem wegen seines unangemessenen Hangs zu Luxus eher mäßig angesehen – in unangenehmer Erinnerung hatten viele Münchner die pompöse goldene Hochzeit im Februar 1918, mitten im Krieg. Ludwig III. wusste das wohl, er verhielt sich abwartend. Noch am Nachmittag des 7. November war er, einer alten Gewohnheit folgend, sogar im Englischen Garten spazieren gegangen. Dabei soll es zu einer denkwürdigen Szene gekommen sein: Spätnachmittags stieß Ludwig III. demnach auf einen Arbeiter, der ihm mitleidig zurief: „Majestät, gengs S’heim, Revolution is“. Das illustriert einmal mehr die Ahnungslosigkeit des Königs. Die in einer Vielzahl von Büchern ungeprüft als „echt“ kolportierte Szene ist allerdings nach Recherchen von März nicht mehr als eine Anekdote.
Wie auch immer: Tief in der Nacht entschloss sich das Haus Wittelsbach zur Flucht. Nur mit dem Notwendigsten versehen, stieg Ludwig III. mit seiner schwer kranken Frau Marie Therese in ein Auto – die aufgemalten Kronen wurden aus Tarnungsgründen übermalt.
Fahrziel war das Schloss Wildenwart im Chiemgau, wo das Königspaar nach einer Panne – das Auto blieb im Morast stecken und musste von einem Pferdegespann herausgezogen werden – erst am frühen Morgen ankam.
Von dort ging es nach zwei Tagen weiter nach Anif bei Salzburg, von wo man aber nach Beruhigung der Lage schon Mitte November zurück nach Wildenwart kehrte. Eine Thronverzichtserkärung gab der hier seltsam halsstarrige König gegenüber den ihm hinterherreisenden Abgesandten der Revolutionsregierung nicht ab. Wohl aber entband er alle Beamten vom Treueeid – ein wichtiges Symbol, das den Fortbestand der staatlichen Verwaltung fürs Erste sicherte.
Zu Widerstand, gar zu bewaffnetem Kampf, war Ludwig III. weder fähig noch willens. Es ist nicht einmal sicher, ob der Griff zu den Waffen überhaupt kurz erwogen wurde. Im Nachhinein muss man ihm das hoch anrechnen: Denn das hätte mit Sicherheit zu einem Gewaltausbruch mit vielen Toten auf beiden Seiten geführt.
Eisner und seine Revolutionäre zeigten sich übrigens dem König im Ganzen gesehen sehr generös. Nur wenige Tage nach Ankunft Ludwigs in Wildenwart bewilligte ihm die Revolutionsregierung 600 000 Mark. „Das Privatvermögen der Wittelsbacher wurde von der Regierung Eisner nicht angerührt“, schreibt März. Nur das Krongut der Zivilliste wurde zum Staatseigentum erklärt – alle Wohnungen und Schlösser auf dieser Liste gingen an den Staat. Allerdings setzten Eisner und sein Finanzminister Edgar Jaffé eine Kommission ein, die mit dem vormaligen Königshaus eine Entschädigung aushandeln sollte. So entstand 1923 der Wittelsbacher Ausgleichsfonds: bis heute einer der größten Grundstücksbesitzer in Bayern.