KOLUMNE

VON SUSANNE BREIT-KESSLER* Die rettende Schneiderin

von Redaktion

Sotira bedeutet Retterin. Was für ein schöner Name! Frau Sotira ist eine Schneiderin griechischer Herkunft, die in unserer Nachbarschaft arbeitet. Sie hat ein kleines Ladengeschäft zwischen einem Mini-Supermarkt und dem Bäcker gemietet, in dem quirlige junge Leute mit Migrationshintergrund vor allem an Studierende der Hochschule belegte Semmeln, Brezn und Gebäck verkaufen. Bei Frau Sotira, die auch Sachen zum Reinigen annimmt, bin ich Stammkundin. Sie kürzt Hosen, die ich mir zu lang gekauft habe, und weitet festliche Kleider, die mich sonst „atemlos durch die Nacht“ begleiten. Die „Puffärmel“ aus der Jacke eines Hosenanzugs entfernt sie und näht in meinen Wintermantel einen neuen, ultralangen Reißverschluss ein. Das Reisesakko meines Mannes hat sie mit einem feschen Futter versehen, weil das alte zerrissen war. Frau Sotira kann einfach alles. Auch Taschen reparieren. Jedes Mal, wenn ich komme, prüft sie die angeschleppten Kleidungsstücke oder Accessoires. „Guter Stoff“, sagt sie meistens oder „feines Material. Kriegt man heute nicht mehr.“ Sie schaut mich lobend an. „Das kann man sehr gut reparieren.“

Ich bin kein Fan von Fast Fashion und schnelllebigen Modetrends. Manche Stücke trage ich jahrzehntelang. Von meiner Mutter habe ich gelernt, auf Qualität zu achten. Billigware, so brachte sie mir bei, kommt einen teuer zu stehen, weil sie schneller kaputt geht und nicht mehr zu richten ist. Kleidung schonen, nicht zu oft und zu heiß waschen, wenig schleudern. Ja, das war die Devise der Omas und Mütter. Heute gibt es nichts zu grinsen, wenn einem das anempfohlen wird. Es spart Geld und schont die Umwelt. Vor allem liegt mir am Herzen, dass andere Menschen nicht unter miesen Arbeitsbedingungen für unsere Kleidung schuften müssen.

Frau Sotira wirft sich nicht in solche politischen Debatten. Sie lebt, wovon andere reden. Meine wunderbare Nachbarin schneidert echte Slow Fashion, zeitlos schicke Kleidungsstücke, die halten. Sie recycelt nichts, sondern macht angesagtes Upcycling. Vermutlich kugelt sie sich über diese Begriffe. Jedenfalls ist Frau Sotira mit mir zufrieden. Und jetzt, wo geflüchtete Ukrainerinnen dringend etwas zum Anziehen brauchen, kann ich aushelfen, und Frau Sotira wird notfalls Änderungen vornehmen. Ich kann aushelfen – nicht mit Zeug, das entweder nur Kasperl tragen oder das in den Müll gehört. Sondern mit ordentlichen und schönen Klamotten zum Wohlfühlen, soweit das momentan geht. Ein kleiner Trost von Frau zu Frau.

* Susanne Breit-Keßler ist Vorsitzende des Bayerischen Ethikrates

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