NATALIAS NEUANFANG

Fünf Monate in München

von Redaktion

Ich kann es gar nicht glauben, aber am Sonntag ist es genau fünf Monaten her, dass ich in München lebe. Dies ist meine 15. Kolumne. Ich habe endlich eine Aufenthaltserlaubnis bekommen und habe jetzt offiziell das Recht, für weitere zwei Jahre in Deutschland zu leben und zu arbeiten. Aber die Hauptsache ist, dass ich in München Sicherheit, Ruhe und ein Stück weit Glück gefunden habe. Allmählich kehre ich in die gewohnten Bahnen zurück und fühle mich heimisch: Ich gehe regelmäßig im Park joggen, spaziere ohne Stadtplan durch die Stadt, treffe auf dem Heimweg von der Arbeit zufällig Bekannte auf der Straße und halte mich unterwegs auf, um zu plaudern. Alles ist wie zu Hause. Ich fühle mich nicht fremd oder allein. In der Stadt habe ich Orte, an denen ich gerne meine Freizeit verbringe. Und Menschen, mit denen ich Erinnerungen teile und die mir am Herzen liegen. Deutsch lernen ist mittlerweile ein fester Bestandteil des Alltags für mich.

Mein größter Wunsch ist, dass der Krieg endet. Mein zweiter Wunsch ist seltsamerweise, fehlerfrei Deutsch zu sprechen und komplexe deutsche Sätze bilden zu können. Und angesichts dessen, was in meinem Leben passiert, scheint es mir sehr wichtig, nicht zu vergessen, wie alles begann. Die Chance, nach München zu kommen, hatte ich dank mir unbekannter Lokalpolitiker, denen die Unruhen in der Ukraine nicht gleichgültig waren. In die Stadt kam ich dank zweier Studenten aus Rosenheim, die auf eigene Faust an die Grenze zur Ukraine reisten und Flüchtlinge von dort mitnahmen. Dank zweier Gastfamilien, die mich aufgenommen haben, konnte ich in der Stadt heimisch werden. Ich habe zwei Arbeitsstellen dank der gleichen Jungs aus Rosenheim gefunden, die mich den richtigen Leuten vorgestellt haben. In München bleiben kann ich dank der Familie, von der ich einen Teil der Wohnung gemietet habe. Ich bin schnell in der Stadt unterwegs und habe Zeit für mehr Dinge, dank einer Kollegin aus der Redaktion, die mir ein repariertes Fahrrad zur Verfügung gestellt hat.

In München fühle ich mich auch dank kleiner Details unterstützt: ein ukrainischer Kiosk beim Tollwood-Festival, ukrainische Fahnen, die aus den Fenstern irgendwelcher Häuser hängen, die gelb-blaue Beleuchtung des Olympiaturms. Ist das nicht alles ein Wunder? Aber ich weiß mit Sicherheit, dass all das in meinem Leben nicht passiert wäre, wenn es nicht die Hilfe von Münchnern gäbe. Meine Geschichte ist ein anschauliches Beispiel dafür, dass eine selbstlose gute Tat für jemanden das Leben verändern kann. So viel hängt von jedem von uns ab. München ist eine Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten. Fröhliche, lebhafte, herzliche, einladende. Und ich bin so dankbar für dieses Glück, hier zu sein.

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