Migranten als Integrationshelfer

von Redaktion

VON KATRIN WOITSCH

Weilheim – Maryam Alizadeh weiß genau, wie es sich anfühlt, allein zu sein. Es ist schon acht Jahre her, als sie in dieser Situation war. Doch es treibt ihr heute noch Tränen in die Augen, wenn sie sich daran erinnert, wie hilflos sie war an ihren ersten Tagen in Bayern. Als sie aus Afghanistan flüchtete, war sie schwanger. „Bei meiner ersten Untersuchung in Deutschland konnte ich den Arzt nicht mal fragen, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird“, erzählt sie. Seit damals ist viel passiert. Ihre Tochter ist auf der Welt, sie hat eine Wohnung gefunden – und spricht fehlerfrei Deutsch. Maryam Alizadeh hat vor Kurzem ein Ehrenamt übernommen. Sie ist eine der Helferinnen und Helfer, die zweimal in der Woche Flüchtlinge unterstützen und ihnen wertvolle Tipps für die ersten Wochen in Bayern geben.

An diesem August-Nachmittag kommt ein junger Mann in das Büro von „Asyl im Oberland“ in der Weilheimer Innenstadt. Er steht etwas verloren in der Tür. „Sprichst du Dari?“, fragt Maryam und lächelt ihn an. „Arabisch“, sagt er. Das ist der Moment, in dem Rekham Anjro übernimmt. Sie ist Syrerin und wie Maryam 2015 als Flüchtling nach Deutschland gekommen. Sie übersetzt für den jungen Mann ein Formular der Krankenkasse, das er ausfüllen muss. Ohne Hilfe hätte er keine Chance dabei. Genau wie der Afghane, der etwas später mit einem Brief des Ausländeramts im Büro steht. Maryam Alizadeh übersetzt es für ihn – und sie erklärt ihm, dass er hier im Büro einen Dolmetscher buchen kann, der ihn zu dem Termin begleitet.

Für Geflüchtete gibt es in allen bayerischen Landkreisen Beratungsstellen, die ihnen bei den ersten Schritten helfen. Doch die Mitarbeiter dort sind überlastet – auch, weil die Zahl der Geflüchteten stetig steigt. So kamen die Helfer von Asyl im Oberland, der Diakonie und der Caritas auf die Idee, ein weiteres niedrigschwelliges Angebot für Geflüchtete zu etablieren. Sie nennen es TOP – das steht für Teilhabe, Orientierung und Perspektiven. An dem Konzept feilten sie rund sechs Monate. „Die Menschen sollen sich hier nicht als Bittsteller fühlen, sondern auf Augenhöhe behandelt werden“, erklärt Adel Youkhanna von der Flüchtlingsberatung der Caritas. Deshalb haben sie versucht, Migranten als Ehrenamtliche zu gewinnen, die selbst eine Fluchtgeschichte haben. In Weilheim gibt es knapp 40 Kultur- und Sprachmittler, zwölf von ihnen haben sich zu TOP-Helfern weiterbilden lassen. Ihre Arbeit entlastet die Hauptamtlichen in den Beratungsstellen.

Das Hilfsangebot gibt es erst seit zwei Wochen. Dafür werde es bereits gut angenommen, berichtet Initiatorin Ingeborg Bias-Putzier von der Diakonie. Die Helfer haben Flyer in den Unterkünften verteilt, die Behörden weisen Flüchtlinge auf das Angebot hin. „Und wir hoffen natürlich, dass es sich unter den Geflüchteten herumspricht.“

Die Ehrenamtlichen wollen nicht nur Hilfe zur Selbsthilfe leisten. „Wenn man neu in einem fremden Land ist, tut es sehr gut, sich verstanden zu fühlen“, sagt Maryam Alizadeh. Ihr Ziel ist es, den Menschen Selbstvertrauen zu geben. Manchmal erzählt sie von ihren ersten Monaten in Bayern – ohne zu beschönigen. „Es wäre das falsche Signal, den Menschen zu sagen, dass sie hier alles bekommen“, betont auch Adel Youkhanna. Die Botschaft der Helfer ist: Ihr bekommt Starthilfe, aber dann müsst ihr es selbst schaffen. Menschen wie die Afghanin Maryam Alizadeh und die Syrerin Rekham Anjro sind für die Geflüchteten auch Vorbilder, betont Youkhanna. „Sie zeigen, dass man es schaffen kann, sich hier ein neues Leben aufzubauen.“

„Lern so schnell du kannst Deutsch“ – das ist ein Tipp, den Maryam Alizadeh fast jedem gibt, mit dem sie ins Gespräch kommt. Auch sie hat ihn damals von einem Mann bekommen: Ali, er war damals Berater. An diesem Nachmittag spaziert er zufällig am Büro vorbei, als Alizadeh beim Brief-Übersetzen hilft. Die beiden begrüßen sich herzlich. Er war für die junge Afghanin damals ein Vorbild – heute versucht sie es für die Menschen zu sein, die neu nach Bayern kommen.

Die Helfer geben Starthilfe – und dazu einen Appell

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