München – Alle schauen, nur einer nicht. Als Hubert Aiwanger kurz vor zwölf den Senatssaal des Landtags betritt, starrt Markus Söder, die Brille tief auf der Nase sitzend, reglos auf sein Handy. Das kann Zufall sein oder ein gut sichtbares Zeichen des Ärgers. Denn dass er hier sitzen muss, mitten im Wahlkampf, das hat der Ministerpräsident seinem Vize zu verdanken.
Seit zwei Wochen sind die Vorwürfe gegen Aiwanger in der Welt – das extremistische Flugblatt, der strittige Umgang damit, alles oft erzählt. Nun steht der „Zwischenausschuss“ an, ein Mini-Landtag, besetzt mit 51 Abgeordneten. Er tagt nur selten und nur dann, wenn es brennt: zuletzt 2008 in der Finanzkrise – und jetzt im Fall Aiwanger.
Dass Grüne, SPD und FDP die Sitzung beantragten, lag vor allem an der mangelnden Aufklärung durch Aiwanger selbst. Wo man Antworten erwartet, klaffen beim FW-Chef vor allem Erinnerungslücken. Schlauer wird am Donnerstag leider niemand. In der zweistündigen Sitzung sagt Aiwanger kein Wort, auch Söder schweigt. Als die Opposition versucht, den Vize-Ministerpräsidenten per Antrag zur Befragung zu zwingen, blockieren die Regierungsfraktionen. Sie wittern eine „Showeinlage“ der Opposition, gar ein „Tribunal“.
Es war von vornherein klar, dass der Ausschuss begrenzte Schlagkraft haben würde. Einen Minister rauswerfen kann er nicht, höchstens den Rauswurf empfehlen. Seit Söder seinen Vize am Sonntag – angeblich nach einem langen Vier-Augen-Gespräch – begnadigte, war aber auch das vom Tisch. Die Angelegenheit sei „aus meiner Sicht abgeschlossen“, sagte Söder. Grüne und SPD versuchen es dennoch. Aber ihr Antrag, den Minister rauszuwerfen, scheitert.
So ist es am Donnerstag an den Abgeordneten, die Affäre und ihre Konsequenzen zumindest noch mal zu beleuchten. Besonders eindringlich tut das Ludwig Hartmann. Der Grünen-Fraktionschef spricht als Erster und tut nichts anderes, als Fragen zu stellen, auch jene, die Aiwanger nicht beantwortet. „Was verstehen Sie unter Reue und Demut?“, fragt er. Und: „Halten Sie es für passend, nach einer dürftigen Entschuldigung sofort in den Opfermodus überzugehen?“. Im Saal, der eigens für die Sitzung hergerichtet werden musste, ist es still, fast andächtig. Auch Söder konfrontiert Hartmann, fragt ihn konkret nach dem Gespräch mit Aiwanger und was diesen entlastet habe. „Viele Fragen sind offen, Sie werden sie wahrscheinlich nie beantworten“, sagt er. „Das ist einer bayerischen Regierung unwürdig.“
Damit meint er auch Söder, der es am Donnerstag ebenfalls vermeidet, etwas zu sagen. Er hört nur zu, verzieht bisweilen leicht gequält das Gesicht. Anders als Aiwanger, der kaum eine Miene verzeiht.
Auch nicht, als SPD-Fraktionschef Florian von Brunn den größeren Bogen spannt. Er wirft Aiwanger vor, sich zum Opfer zu machen, und kommt dann auf Erding zu sprechen. „Sie kennen offenbar keine roten Linien. Sie wiegeln Menschen auf, um daraus Profit zu schlagen“, meint von Brunn. Aiwanger sagte damals, die schweigende Mehrheit müsse sich die Demokratie zurückholen. Für von Brunn passt das ins Bild. FDP-Fraktionschef Martin Hagen ist etwas gnädiger. „Ich halte dich nicht für einen Antisemiten“, sagt er zu Aiwanger. Fehler der Vergangenheit dürften einen Menschen „nicht ein Leben lang für politische Ämter disqualifizieren“. Dass der Minister nichts mehr zu alldem sagen wolle, sei aber „sehr bedauerlich“. Einzig die AfD sieht Aiwanger als Opfer einer Kampagne.
Die Regierungsfraktionen wollen die Sache indes abräumen. CSU-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Reiß spricht zwar von „schwerwiegenden Vorwürfen“ gegen Aiwanger, dessen Umgang damit habe sein Ansehen „weiter beschädigt“. „Mutig und direkt heraus sein muss man nicht nur im Bierzelt.“ Es gelte aber die Unschuldsvermutung. Der Fraktionschef der Freien Wähler, Florian Streibl, lobt, die Aufklärung sei „sehr gut“ gewesen. Die Partei erwarte aber, dass ihr Chef alles tue, um verlorenes Vertrauen wiederherzustellen.
Das dürfte nicht bei allen gelingen. Die Regierung stehe „für alles außer Anstand und Bürgerlichkeit“, sagt Hartmann nach der Sitzung. Auch Söder wirkt angefressen. Er eilt noch vor Ende des Ausschusses aus dem Saal.